Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik (German Edition)
um seine Gedankenwelt zu publizieren. Es ist ein Gefäß, in das vieles gefüllt werden konnte. Wenn er schrieb, zentralistische Strukturen müssten aufgelöst werden, konnte man damals noch nicht erkennen, was er meinte. Jahre später zeigte sich, dass seine Stiftung genau dies in der Arbeitsmarkt- und in der Bildungspolitik verfolgte. Wenn er schrieb, »die Erfahrungen des Auslands können uns dabei helfen«, dann wird sich auch das später in der Bildungs- und der Arbeitsmarktpolitik finden. Unter Punkt fünf schrieb er, das wichtigste Kriterium sei stets »die Qualifikation der Führung!« Und: »Auf diesem Feld gibt es bei uns noch vieles zu verbessern!« Gemeint war in diesem Fall nicht die Bertelsmann Stiftung, sondern Deutschland. Vieles bedeutet: »die Fortschreibung der Ordnungen in den Bereichen Politik, Staat, Wirtschaft, Bildung und Gesundheit.«
Die Anzeige in der FAZ liest sich, als habe hier der wahre Reformer seine Stimme erhoben, um Herzogs Worten seinen Segen zu geben. Oder wollte hier einer, der erstaunt war über das Echo, das Herzog ausgelöst hat, anmerken, dass er übrigens derjenige sei, der hinter Herzogs Appell steht und zu würdigen sei? Dass zumindest die Bertelsmann Stiftung ernster zu nehmen sei als bisher geschehen? Trat Mohn mit seiner Stiftung an die Öffentlichkeit, weil er spürte, dass die Zeit seiner Stiftung gekommen war?
Der vielleicht wichtigste Gedanke der elf Punkte findet sich unter Ziffer acht: »Die Aufgabe des 21. Jahrhunderts wird darin bestehen, dem einzelnen zu helfen, seine eigenen Kräfte zu entfalten!« Denn dann, folgerte Mohn, könne der Sozialstaat entlastet werden. »Der Umfang solidarischer Hilfe kann dann reduziert werden.« Wer könnte in einem solchen Satz lesen, dass hier einer schreibt, dessen Stiftung die Sozial- und Arbeitslosenhilfe zusammenlegen will? Das Modell Hartz IV ist nicht zu erkennen. Und doch ist der Gedanke, der dorthin führen wird, von Mohn ausgesprochen.
Mohn endete mit: »Die Bertelsmann Stiftung dankt dem Bundespräsidenten für seinen Aufruf zum Handeln! – Wir werden versuchen, zu der gesellschaftlichen Herausforderung einen Beitrag zu leisten!« Die Botschaft zwischen den Zeilen: Der Bundespräsident und die Bertelsmann Stiftung sorgen gemeinsam dafür, dass ein Ruck durchs Land geht. Zwei knappe Sätze, fett gedruckt und mit Ausrufezeichen versehen. Dem Ton nach hat Mohn die Anzeige vermutlich selbst formuliert und es steht schließlich auch seine Unterschrift darunter. Mohn hatte dem Bundespräsidenten Reformen nahegelegt und jetzt, da der Bundespräsident dem Volk Reformen nahelegt, sagte Mohn sinngemäß: »Danke, Herr Bundespräsident, dass Sie uns, die Bertelsmann Stiftung, beauftragen! Wir nehmen Ihren Auftrag gerne an und werden im Namen des Volkes und zum Wohle aller die nötigen Reformen durchzusetzen versuchen.« Natürlich sagte Mohn dies nicht explizit mit genau diesen Worten, aber diese Botschaft konnte vernehmen, wer zwischen den Zeilen las: Soll niemand später sagen, er hätte nicht mitbekommen, dass Reinhard Mohn und seine Stiftung vom Bundespräsidenten in aller Öffentlichkeit beauftragt wurden, das Land zu reformieren.
Fassen wir zusammen: Herzog hielt eine Rede, die heute als Startschuss für alle nachfolgenden Reformen gelten darf; die den größten Umbau des Bildungs- und Hochschulwesens, des Gesundheitswesens, des Sozialstaats und des Arbeitsmarktes eingeleitet hat. Mohn antwortete, denn er fühlte sich durch Herzog bestätigt und mit einem Auftrag der Öffentlichkeit versehen. Er nahm diesen Auftrag gerne an. Es stellt sich die Frage, wer hier eigentlich wen legitimiert zu handeln. Die Berater oder die Politik? Lassen sich beide Welten überhaupt noch trennen? Inwiefern ist Michael Jochum, der Herzog im Auftrag der Bertelsmann Stiftung begleitete, an der Ruckrede beteiligt gewesen? Herzogs Staatssekretär Wilhelm Staudacher will sich dazu auf heutige Nachfrage nicht konkret äußern, denn es gebe das Gesetz, dass der Bundespräsident alle seine Reden selbst schreibt. Das stimmt natürlich nicht. Er ist auch nur einer, der mitschreibt. Wie alle Reden ging auch die Ruck-Rede über den Tisch von Staudacher, wie er bestätigt. »Dazu, wer sie geschrieben hat, sagt man im Bundespräsidialamt nichts. Die Reden hat stets der Präsident geschrieben.« Aber – so viel wird doch verraten – diese Rede sei eine generalstabsmäßig vorbereitete, lang geplante Aktion gewesen: »Am Ende war es ein Kollektiv,
Weitere Kostenlose Bücher