Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik (German Edition)
trägt ausgetretene Sandalen, »das Leinenhemd schlottert um die Hüften«, wie Marcus Lesch beobachtet. Lesch begleitet den Briten Green bei seinen Bemühungen, Arbeit zu finden. Eigentlich berichtet Lesch für den Fernsehsender RTL, der Bertelsmann gehört, aber diesmal ist er für einen anderen Auftraggeber unterwegs: die Bertelsmann Stiftung, für die er 2002 eine filmische Dokumentation über die Jobvermittlung in England erstellt. Es ist ein ungewöhnlicher Auftrag für alle Beteiligten.
Ein Drehtermin findet bei dem Herrenausstatter Hawks in Plymouth an der südenglischen Küste statt. Es ist ein Laden, den Green im Film das erste Mal betritt. Läden wie Hawks spielten in seinem bisherigen Leben keine Rolle. »Ich hatte noch nie einen Anzug«, sagt er und schlüpft in ein Modell, das ihm der Verkäufer präsentiert. Japanische Kunstfaser, knitterfrei und runtergesetzt auf 269 Pfund, umgerechnet 400 Euro. Bis zu 300 Pfund zahlt das britische Arbeitsamt. Der Arbeitsvermittler findet, Richard sei qualifiziert und motiviert. Das einzige, was ihm fehle, so meint Lesch im Kommentar, sei ein Anzug, um im Vorstellungsgespräch einen guten Eindruck zu machen. Der Vertreter des Jobcenters, Trevor Hooper, sagt: »Grundsätzlich gilt, wenn es legal ist und jemand zu einem Job verhilft, dann machen wir alles. Wir haben Leuten sogar schon Geld gegeben, um Tätowierungen entfernen zu lassen, wenn sie im Dienstleistungsbereich arbeiten wollten. Wir geben unseren Beratern viel Freiheit, wie sie Geld einsetzen.«
Die Welt der Jobvermittlung, so wie die Bertelsmann Stiftung sie am Beispiel Englands präsentiert, ist eine schöne, bunte und angenehme Welt, in der die Vermittler viel Geld für die Arbeitslosen ausgeben. Sie kümmern sich um jeden einzelnen und sind jederzeit für ihn da. Sie scheuen weder Kosten noch Mühen, um Arbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt zu bringen. Es ist eine Welt, wie Reinhard Mohn und Politiker sich Jobvermittlung erträumen. Eine Welt, in der nicht Lethargie und Hoffnungslosigkeit herrschen, sondern Eigeninitiative und Liebe zum Detail, Motivation und Zuversicht.
Kaum hat Richard Green den Anzug gekauft, schon betritt er einen Friseurladen und lässt sich den Bart rasieren – auch wenn er die Rasur aus eigener Tasche bezahlen muss, wie Lesch vermerkt. Es sei das Ziel der britischen Arbeitsvermittler, die Leute zu motivieren, und bei Richard Green ist es offenbar gelungen – die Bartrasur beweise es. Jobvermittler Trooper sagt: »Arbeit ist die beste Sozialarbeit.« Und danach handle man.
Paul Swancutt ist ebenfalls seit sechs Monaten arbeitslos. Ihm zahlte das Jobcenter einen Werkzeugkasten und eine Schweißschutzmaske, wie Lesch im Video erklärt. Das sei die Eintrittskarte in eine kleine Schweißerei gewesen, die ihn sonst nicht genommen hätte. Zwar habe nicht das Arbeitsamt, sondern er selbst den Job gefunden, aber das Amt habe ihn mit Geld und mit Berufsschule unterstützt, sagt Paul Swancutt. »Der Berater ist wirklich aufgeschlossen und hat immer einen Rat, wenn ich hinkomme.«
Tony Smith, der Eigentümer der Schweißerei, sagt, früher hätte ihm das Arbeitsamt wahllos unmotivierte Leute vermittelt. Die Vermittlung hätte sich stark verbessert. »Seit der Reform helfen die uns tatsächlich, Auszubildende zu finden.« Sein neuer Mitarbeiter Paul nehme täglich zwei Stunden Anfahrt in Kauf, um bei ihm zu arbeiten. Smith sagt, ohne solche Kräfte könnte er kaum weitermachen. Der Vier-Mann-Betrieb habe auch früher Nachwuchs benötigt, doch die neun Vorgänger von Paul seien alle Totalausfälle gewesen. Nach jedem Fußballspiel hätten sie alkoholbedingt gefehlt. Doch die Reformen sorgten für Disziplin. Wenn Tony Probleme mit Paul hätte, bräuchte er nur dessen Betreuer im Jobcenter anzurufen. Was dann passieren würde, sagt der Beitrag nicht. Stattdessen hören wir Tony Smith über Paul sagen: »Er hat wirklich eine gute Zukunft, wenn er dabei bleibt, Schweißen lernt und einmal pro Woche auf die Fachschule geht.«
Wir sind zurück bei Richard Green und sehen, wie er das Jobcenter betritt. Eine Frau kommt ihm entgegen und begrüßt ihn mit Handschlag. Auf diese freundliche Art begrüßt sie jeden neuen Jobsuchenden und geleitet ihn zu – wie es im Kommentar heißt – »poppigen Sofas« im Wartebereich. Lesch folgert aus der modernen Inneneinrichtung, im Jobcenter herrsche nicht nur neues Design, sondern vor allem »ein neues Denken«. Dahinter stehe der Gedanke: »Jeder
Weitere Kostenlose Bücher