Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik (German Edition)
sei. Im Gegenteil: Vermutlich verbuchte man den Wechsel in der Stiftung als Erfolg – wieder ein guter Kontakt mehr im Ministerium.
Der Abschlussbericht Benchmarking Deutschland umfasste 440 Seiten und wurde 2001 im Wissenschaftsverlag Springer, einem inzwischen verkauften Tochterunternehmen der Bertelsmann AG, publiziert. Die Wissenschaftler begannen den Bericht mit der Warnung, dass auch bei sorgfältigstem Vorgehen jedes Benchmarking wichtigen Beschränkungen unterliege. So seien häufig »die vorhandenen international vergleichbaren Daten nicht ausreichend belastbar, um widerspruchsfreie Handlungsvorschläge aus ihnen ableiten zu können … Zahlen, die Zustände auf nationaler Ebene abbilden, verdecken häufig, und insbesondere in Deutschland seit der Wiedervereinigung, regionale oder geschlechtsspezifische Unterschiede«. Dies sei »besonders gravierend, wenn die Wechselwirkung zwischen verschiedenen Politikbereichen und der Entwicklung im Arbeitsmarkt beschrieben werden sollen«. Damit nicht genug. Die Autoren warnen weiter, hinzu komme, »dass Reformstrategien in den seltensten Fällen als ›Blaupausen‹ von einem Land auf ein anderes übertragen werden können«.
Die beiden Absätze, die die Autoren ihrem Bericht voranstellten, können so zusammengefasst werden: »Vorsicht! Unsere Empfehlungen könnten auch ganz falsch sein. Für diesen Fall übernehmen wir keine Verantwortung.« So schreiben sie das freilich nicht, aber darauf läuft es hinaus. Berater übernehmen keine Verantwortung. Doch umgehend beruhigen die Autoren der Bertelsmann Stiftung sofort alle Zweifler und bekräftigen die Relevanz ihres Berichtes: »So berechtigt derartige Einwendungen allerdings auch sein mögen und so sehr jede Empfehlung einer guten Praxis vor diesem Hintergrund mit Vorsicht gegeben werden muss, so wenig werden durch sie die Kernaussagen von Benchmarking Deutschland entwertet. Auch wenn einzelne Kennzahlen, isoliert betrachtet, immer strittig erscheinen können, so entwickelt sich doch aus der Vielzahl der Indikatoren und der Berücksichtigung zahlreicher theoretischer und empirischer Forschungsergebnisse ein robustes und belastbares Bild der Stärken und Schwächen Deutschlands in der Arbeitsmarktentwicklung und den für sie wichtigen untersuchten Politikbereichen.« 3 Mit anderen Worten: Die Warnung ist nur eine Formsache. Die Politiker können sich doch auf Benchmarking Deutschland verlassen.
Das taten sie auch. Während die Wissenschaftler davor warnten, Modelle aus dem Ausland einfach als Blaupause zu verwenden, sagte der neue Arbeitsagenturchef Gerster: »Die Studie wäre eine gute Blaupause, um in der nächsten Legislaturperiode die notwendigen Veränderungen einzuleiten.« 4 Die Verlockung, auf vermeintliche Lösungen aus dem Ausland zurückzugreifen, war eben zu groß, als dass Politiker widerstehen konnten oder sich viele Gedanken über unterschiedliche Voraussetzungen machten. Aufsehen erregte vor allem das Jobwunder in den Niederlanden, wo die Arbeitslosenquote von 12 Prozent Anfang der achtziger Jahre auf fast 2 Prozent gesunken war. Das gelang den Niederlanden durch Umverteilung der Arbeit und die Einführung von Zeitarbeit. Die Berater der Bertelsmann Stiftung übernahmen das Erfolgsrezept. Im Benchmarking-Bericht wiesen die Autoren zwar noch darauf hin, dass es aufgrund der unterschiedlichen Lohn-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik unzulässig sei, »die unmittelbare Übernahme bestimmter Regulierungsregimes von beschäftigungspolitisch erfolgreichen Ländern zu empfehlen«. Davon ungeachtet empfahlen sie aber »Reformperspektiven« für Deutschland, konkret mit Blick auf die Niederlande eine flexiblere Kündigungsschutzregelung und Zeitarbeit. In Arbeitspapieren drängten sie noch stärker auf diese Konzepte. Sie taten das also auf genau jene Art, vor der sie selbst warnten. Sie empfahlen die Übernahme von Konzepten, ohne die Voraussetzungen der Sozialpolitik zu beachten.
Der beteiligte Wissenschaftler Günther Schmid, damaliger Professor an der FU Berlin und Direktor der Abteilung Arbeitsmarktpolitik und Beschäftigung am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, spricht deshalb heute im Rückblick von einem Mangel, den man damals aufgrund des Zeitdrucks nicht ausreichend beachtet hätte. Schmid versuchte das in einer eigenen Darstellung zu korrigieren. Als Schmid, nach der Veröffentlichung des Berichts Benchmarking Deutschland (2001) im Jahr darauf ein Buch über Wege in eine neue
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