Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik (German Edition)
entspricht der Forderung.« Zufrieden zeigte sich das CHE auch, weil Pinkwart in seinen Eckwerten »einige Standardforderungen des CHE besonders berücksichtigt« habe, etwa »bei den Finanzen und mit Blick auf das Ziel einer wirtschaftlichen Hochschule« und bezüglich der Autonomie im Liegenschaftsbereich.
Der Zehn-Punkte-Katalog liest sich, als müsste sich das CHE versichern, wie sehr die Regierung den Forderungen des CHE nachgekommen ist. Es ist ein Papier, das Kritikern die Haare zu Berge stehen lässt – aufgrund der Offenheit, mit der hier eine Lobbygruppe der Öffentlichkeit aufrechnet, wie ungemein erfolgreich sie auf die Gesetzgebung Einfluss genommen hat. Muss man sich da wundern, dass Kritiker daraus schließen, dass man den Einfluss des CHE auf die Hochschulpolitik eigentlich kaum überschätzen könne? Allerdings gilt auch, dass die Bertelsmann Stiftung nicht alleine für die Reform verantwortlich war, sondern von der Hochschulrektorenkonferenz und vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft unterstützt worden war – beide hatte sich das CHE geschickt zu Verbündeten gemacht.
Wolfgang Lieb kritisierte im Oktober 2006: »Das ›Hochschulfreiheitsgesetz‹ NRW ist nicht das Ergebnis eines gesellschaftlichen Diskurses oder der politischen Debatte und schon gar nicht ein Vorschlag, der aus der Mitte der Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden stammt. Es ist das Produkt einer ideologisch ausgerichteten Lobbyorganisation. Die Grundprinzipien dieses Gesetzes wurden von einer demokratisch nicht legitimierten, steuerlich privilegierten und eine ideologische Mission verfolgenden privaten Stiftung, der Bertelsmann Stiftung und ihrem hochschulpolitischen ThinkTank, dem Centrum für Hochschulentwicklung (CHE), teilweise sogar Wort für Wort übernommen. Man könnte es auch härter formulieren: Eine politische Lobbyorganisation hat die Rolle eines Schattenministeriums übernommen.« 10
Mohns Modell der Aufsichtsräte machte Schule. Seit etwa 2006 übertrugen die Regierenden in fast allen Bundesländern den Hochschulräten ihre Kompetenzen, darunter auch die Einrichtung neuer Studiengänge. In Baden-Württemberg werden die Hochschulräte sogar schon seit 2005 als Aufsichtsräte und die Präsidenten oder Rektoren als Vorstandsvorsitzende bezeichnet. Das Denken der Wirtschaft bestimmt nun die Sprache an den Hochschulen. Tatsächlich bestehen die Hochschulräte überwiegend aus Professoren (interne Mitglieder) und Vertretern von Unternehmen (externe Mitglieder).
Im besten Fall stellen die Hochschulräte naheliegende Fragen, ohne sich zu stark einzumischen. Die Financial Times Deutschland nennt zwei positive Beispiele in Erlangen und Darmstadt: »Der Hochschulrat macht der Uni Beine, er stellt Fragen, die an der Uni niemand zu stellen wagt«, sagt der Konstanzer Philosophieprofessor Jürgen Mittelstraß, der im Hochschulrat der Uni Erlangen sitzt. Dort habe sich die Uni stärker profiliert und sich eine neue Struktur gegeben. »Ohne Hochschulrat wäre das nicht in Gang gekommen.« Die TU Darmstadt hat auf Initiative des Hochschulrats ihr Rechnungswesen umgestellt und vergibt Gelder nun stärker als bisher nach Leistung. »Wir greifen nicht in den Betrieb der Uni ein, wir kontrollieren ihn«, sagt Jürgen Heraeus, Vorsitzender des Hochschulrats der TU Darmstadt und Mitinhaber des Mischkonzerns Heraeus. Bei Berufungen solle künftig nicht nur die Forschungsleistung, sondern auch die Lehre eine Rolle spielen.
Doch was den Nutzen der Hochschulräte betrifft, so tun sich oft Gräben zwischen Befürwortern und Gegnern des neuen unternehmerischen Systems auf. Im Denken von Mohn, Müller-Böling und Pinkwart sind Hochschulräte Teil der Lösung. An den Hochschulen gelten sie dagegen bei vielen als Teil des Problems. Wolfgang Lieb durfte sich mit seiner Kritik bestätigt fühlen, als es anderthalb Jahre nach Einführung des neuen Gesetzes und der Räte in NRW an der Universität Siegen zu einem »Frontalzusammenstoß zwischen Hochschule und Hochschulrat« kam, wie Klaus Kreimeier am 28. August 2008 in der Zeit berichtete. Kreimeier war von 1997 bis 2004 Leiter des medienwissenschaftlichen Studiengangs an der Universität Siegen und er berichtet über »tiefe Zweifel«, die sich an der Uni bei Lehrenden und Studierenden ausbreiteten. Man sei in »Sorge, dass die jahrzehntelang äußerst schwerfällige staatliche Bevormundung einem System neuer, strafferer Fremdsteuerung Platz gemacht haben könnte«. Die Behauptung,
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