Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik (German Edition)
registrierte das alles und erhielt auf diese Weise viele Daten und Einblicke in das Funktionieren deutscher Kommunalverwaltungen. Und sie erstellte Studien. Im Jahr 2000 zeigte sie beispielsweise: Wer in Finnland einen Bauantrag stellt, kann davon ausgehen, dass er innerhalb von 21 Tagen beschieden wird.
Die Stiftung bietet auch Konzepte an, wie man die Effizienz verbessern kann. Nein, das ist falsch: Nicht die Stiftung bietet dies an, sondern das Unternehmen. Und das ist der heikle Punkt: Das Unternehmen Bertelsmann bietet diese Dienstleistung Kommunen an und macht daraus ein Geschäft. Lassen sich aber die Konzeption und die Umsetzung wirklich so genau trennen, wie es Stiftung und Unternehmen behaupten? Und selbst wenn das gelingen sollte, ergeben dann nicht das Zusammenspiel und die Aufgabenteilung zwischen AG und Stiftung trotzdem einen Interessenkonflikt? Kommt die mit dem Erlass von Steuergeldern finanzierte Arbeit der Stiftung in erster Linie dem profitorientierten Unternehmen zugute? Darf das sein? Wo endet die gemeinnützige Beratung und wo beginnt die kommerzielle Umsetzung? Und inwiefern kommen der AG die Daten und Erkenntnisse zugute, die die Stiftung in vielen Jahren über die Effizienz von Behörden gewonnen hat?
Die Vermengung kommerzieller und gemeinnütziger Interessen wird in wenigen Bereichen so deutlich wie bei der Beratung und Privatisierung kommunaler Verwaltungen. Ausgerechnet die Arbeit, die Mohn stets als eine der wichtigsten gemeinnützigen Aufgaben der Stiftung verstand und so die Existenz der Stiftung rechtfertigte, wirft also viele grundsätzliche Fragen nach dem Selbstverständnis und der Arbeitsweise der Stiftung auf.
Das Einstiegsprojekt in England: Die Government Services von Arvato
Im englischen Distrikt East Riding steuert die Bertelsmann-Tochterfirma Arvato seit 2005 einen ganzen Landkreis. Die Verwaltungsaufgaben umfassen 3 000 Straßenkilometer, sieben Millionen Mülltonnen jährlich, 11 000 Sozialwohnungen, 159 Schulen, 990 Fahrzeuge und 39 000 Straßenlaternen.
Der Chef der britischen Arvato-Tochterfirma Government Services, Rainer Majcen, erzählt die Entstehungsgeschichte so: Er hat an der privaten Universität Witten/Herdecke Wirtschaft studiert und ist seit 2000 für Bertelsmann tätig. Er arbeitete bei einer Tochterfirma von Arvato in Dublin, als er 2002 auf eine Ausschreibung aufmerksam wurde. Es ging um »Financial Services«, um Dienstleistungen im öffentlichen Sektor. Davon verstand Majcen eigentlich wenig und Arvato hatte bis dahin auch kein Geschäft im öffentlichen Sektor, aber Majcen schrieb einfach zusammen, wie ein solches Geschäft aussehen könnte. Arvato gewann die Ausschreibung und drei Jahre später übernahm Arvato die Verwaltung in East Riding. Seitdem ist Rainer Majcen bei Arvato »Mister East Riding«, wie das Wirtschaftsmagazin brand eins schrieb. 1
Die Planungen zwischen Arvato und East Riding liefen seit 2003. Die Grafschaft und Arvato schlossen ein, wie das Unternehmen betonte, »bahnbrechendes Abkommen«, dessen Laufzeit im Oktober 2005 begann. Arvato betreut 14 Bürgerbüros und schafft die Infrastruktur für 17 000 Angestellte, die im Jahr 50 000 Anrufe erledigen. Bertelsmann kümmert sich um die Gehaltsabrechnungen, bewertet, bewilligt und zahlt finanzielle Beihilfen und Sozialleistungen sowie Studienfinanzierung aus. Das Unternehmen stellt außerdem einen betriebsärztlichen Dienst und betreut Kredite. Arvato übernahm 516 Mitarbeiter (darunter 439 Vollzeitkräfte) und versprach, 600 Arbeitsplätze zu schaffen. Der Vertrag mit der Grafschaft läuft über acht Jahre und hat einen Wert von 240 Millionen Euro. In einem Joint Venture vermarkten beide Seiten Dienstleistungen für öffentliche und private Kunden.
Ziel von Arvato ist es, die Kosten der Verwaltung zu reduzieren. Dazu griff Arvato eine Anregung der Stiftung auf und maß in East Riding die Korrektheit sowie die Dauer der Bearbeitung eines Antrags. Ziel sei die Rufannahme binnen 21 Sekunden oder sieben Klingeltönen Wartezeit. Darüber hinaus maß Arvato die Kundenzufriedenheit. East Riding galt »inhaltlich und finanziell« in Gütersloh schon bald als großer Erfolg, wie Arvato-Chef Rolf Buch sagt.
Im März 2005 machte der damalige Arvato-Chef Hartmut Ostrowski in einem Interview mit der netzeitung deutlich, dass er den Einwand, Arbeitsplätze wegzurationalisieren, nicht gelten lassen will. Es sei zwar richtig, dass die Zahl der Arbeitsplätze abnehme, aber wenn man etwas
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