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Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik (German Edition)

Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik (German Edition)

Titel: Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Schuler
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schneller mache, dann könne man »die durch verbesserte Prozessabläufe eingesparte Zeit der Mitarbeiter auch für zusätzliche sinnvolle Tätigkeiten nutzen«, wie er betont. Die Mitarbeiter in England habe Arvato zu gleichen Konditionen übernommen und sie blieben in ihrem staatlichen Pensionsmodell. Ostrowski: »Es geht nicht so sehr darum, einfach bei den Beschäftigten Geld einzusparen. In Großbritannien werden wir an über 200 Indikatoren für die Qualität unserer Leistung gemessen. Wir als Arvato wiederum bewerten unsere Mitarbeiter nach ihrer Leistung, und leistungsabhängige Bezahlung ist natürlich eine ganz andere Form der Entlohnung als das, was derzeit hier bei der öffentlichen Hand praktiziert wird. Das wird dazu führen, dass der eine oder andere Mitarbeiter in East Riding mehr verdienen wird als vorher. Er muss dafür aber auch deutlich mehr leisten als vorher.« 2
    Nach England nahm Arvato Deutschland, vor allem aber auch Spanien ins Visier, danach sollte Frankreich folgen, wo Bertelsmann allerdings mit größerem politischen Widerstand rechnete. In England sind die Gewerkschaften geschwächt und das Land hat keine soziale Marktwirtschaft. Wie aber konnte man den deutschen Markt erobern, wo Politiker vor Rationalisierung zurückschrecken? Kann Bertelsmann Politiker und Bürger als Kunden gewinnen? Ohne Zustimmung der Politiker würde es nicht möglich sein, die Aufträge zu erhalten. Aber die Umstände kamen Arvato zu Hilfe.

Expansion auf den deutschen Markt: Würzburg integriert
    Als Pia Beckmann im Mai 2002 überraschend zur Oberbürgermeisterin von Würzburg gewählt wurde, zog die CSU-Politikerin nicht in das Amtszimmer ihres Vorgängers im dritten Stock des Rathauses ein, sondern zwei Stockwerke tiefer – um näher bei den Bürgern zu sein, wie sie sagte. Das war ihr Programm: Bürgernähe. Sie kannte die Probleme der Stadt; seit 1996 saß sie im Stadtrat. Die Kassen waren leer. Würzburg hat keine Industrie und keine großen Unternehmen. Der größte Arbeitgeber ist die Universität. Die Stadt saß auf einem Schuldenberg in zweistelliger Millionenhöhe.
    Beckmann war ins Amt gekommen, weil unter ihrem Vorgänger die Einnahmen – vor allem die Gewerbesteuer – weggebrochen waren. In ihrer Amtszeit kamen hausgemachte Probleme dazu: In der Not spekulierten die Stadtwerke mit riskanten Zinsgeschäften und verloren 4,1 Millionen Euro. Die Regierung von Unterfranken verweigerte zwei Jahre lang die Genehmigung des städtischen Haushalts. Beckmann musste eine absolute Haushaltssperre verhängen. Alle Ausgaben kamen auf den Prüfstand, aber der Schuldenabbau ging trotz radikalem Sparkurs nur schleppend voran. Kurzum: Würzburg war der ideale Kandidat für Arvato.
    Mit dem Rücken zur Wand suchte die Stadt händeringend nach Konzepten, um die laufenden Kosten zu reduzieren. Die Stadt war offen für Public Private Partnerships (PPP) mit Investoren und Beckmann wurde zur treibenden Kraft hinter der Umstellung auf eine elektronisch vernetzte Verwaltung, auch »E-Government« genannt. Statt mehrfach zwischen Aktendeckeln soll das Wissen der Verwaltung in Dateien zentral gespeichert und jederzeit jedermann in der Verwaltung zur Verfügung stehen. Die Stadt machte eine europaweite Ausschreibung für ihr Projekt – Arvato bot die besten Konditionen und erhielt den Zuschlag. Es sollte ein Vorzeigeprojekt werden. Beckmann und Arvato wollten völlig neue Wege gehen, die sich an den Erfahrungen von East Riding orientierten. Viele Kommunen haben die Müllabfuhr ausgelagert. Beckmann dagegen wollte sich für die gesamte Verwaltung einen privaten Betreiber ins Rathaus holen, der alle Abläufe zentral steuert. Das Projekt heißt »Würzburg integriert«. Der Stadtrat stimmte geschlossen dafür, ohne allerdings die Verträge im Detail zu kennen.
    Das Argument, das in Würzburg fast jeden Beamten und Lokalpolitiker schnell überzeugt hat, lautete: Geld. Arvato verpflichtete sich, die Kosten der Investitionen zu übernehmen. Und mehr noch: Arvato stellte der Stadt von Beginn an Einnahmen in Aussicht. Man war guter Dinge in Würzburg, der Projektleiter der Stadtverwaltung, Wolfgang Kleiner, sagte: »Für die Finanzierung des Projektes nimmt die Stadt kein Geld in die Hand.« Würzburg sei aber bereits von Beginn an an den Einsparungen beteiligt. Für die Hilfe bei der Vermarktung des Konzeptes wollte Arvato Würzburg darüber hinaus finanziell entschädigen; je verbreiteter die Plattform sei, desto

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