Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik (German Edition)
Strategien dazu.
Es ist ein Bäumchen-wechsel-dich-Spiel, denn als Thielen 2002 zurück von der Stiftung zur AG wechselte, fand sein Nachfolger bei Arvato zwei Projekte vor: E-Government und Outsourcing bei Kommunalverwaltungen als neues Wachstumsfeld – also zwei Projekte, die unter dem Stiftungschef Thielen als gemeinnützige Projekte entstanden waren. Unter Thielen als Vorstandsvorsitzendem der Bertelsmann AG entstanden dann erste kommerzielle Projekte in England und in Deutschland. Es ist schon bemerkenswert, dass die AG unter einem Chef ein neues, bislang weitgehend unerschlossenes Geschäftsfeld in genau jenem Bereich als einen der größten Wachstumsmärkte identifiziert und erschließt, in dem die Stiftung unter dem gleichen Chef Grundlagenforschung geleistet hat.
Währenddessen blieb auch die Stiftung am Thema dran. Sie hielt Seminare für Kommunalpolitiker ab und veranstaltete 2007 steuerbegünstigt einen Kommunalkongress in Berlin, um Kämmerer, Stadt- und Landräte, Behördenleiter und Bürgermeister aus ganz Deutschland die Bedeutung dieses Themas klarzumachen und Lösungen aufzuzeigen. Bertelsmann ging nicht so weit, dass Arvato Mitveranstalter war – aber der Kongress entsprach Arvatos Zielen.
In Berlin stellten Stiftung und Städtebund 2007 eine Studie vor, die von Steuern und Gebühren über Callcenter und Fuhrpark bis IT-Struktur und Rechtsberatung Bereiche nennt, in denen die Stiftung und der Städtebund die Auslagerung in sogenannten Dienstleistungspartnerschaften empfehlen. Mindestens 50 Prozent der untersuchten Kommunen haben Immobilienreinigung, Abfallentsorgung und Gas-, Wasser- und Stromversorgung ausgelagert. Allerdings sei dadurch keineswegs die Höhe der Gebühren gesunken. Die Höhe der Gebühren lasse sich eben nicht durch private oder öffentliche Leistungserstellung erklären, betont die Studie, sondern durch Monopole und mangelnden Wettbewerb.
Ein unerschlossenes, aber besonders hohes Potenzial stellten Organisation und IT-Services dar. »Erhebliches Rationalisierungspotenzial« sieht die Studie in der Erstellung von Steuer- und Gebührenbescheiden und schlägt dazu ein teilweise ausgelagertes Dienstleistungszentrum für Steuern und Gebühren vor. Bürgeramt und Callcenter sollten ein Grunddatenmodul betreuen, das Daten für Melde- und Passregister, für Grund- und Hundesteuer und weitere öffentlich-rechtliche Fachanwendungen umfasst. Die Stiftung nennt das »Prozessoptimierung durch Integration« und sieht darin »wesentliche Rationalisierungspotenziale«. 3 Als Beispiel nennt sie den Kölner Energie-Konzern RWE, der im Auftrag von Gemeinden mit einer selbst entwickelten Software Gebühren und Steuern abrechne.
Stiftung und Städtebund untersuchten 14 Bereiche und hielten zehn für die Auslagerung geeignet, darunter die Rechtsberatung und die Lohn- und Gehaltsabrechnung sowie die Steuer- und Gebührenbescheiderstellung. Sie empfehlen darin auch das Leasing von Gebäuden, etwa von Schulen, allerdings nicht das heute so umstrittene und fatale Cross-Border-Leasing, das die Finanzen vieler Kommunen stark belastet. Die Studie berichtet auch von Problemen und gescheiterten Projekten, so habe Leipzig 2000 die Informationstechnologie ausgelagert und das Vorhaben zwei Jahre später gestoppt, weil trotz einiger Erfolge wichtige technologische Lösungen für die Verwaltung nicht zufriedenstellend realisiert werden konnten, wie es heißt. Die Komplexität der Anforderungen und Prozesse sei unterschätzt worden. Entgegen den Erwartungen konnten keine neue Kunden gewonnen werden. Ein warnendes Beispiel?
Doch Bertelsmann kann sich keine Zweifel leisten. Man ist aufgrund des Rückkaufs der RTL-Anteile von Albert Frère unter finanziellem Druck. Das Unternehmen verschuldete sich 2006 mit bis zu sieben Milliarden Euro. Das bedeutete, dass Thielen und sein Nachfolger seitdem händeringend nach neuen Wachstumsfeldern suchen. Am 12. April 2002 hielt die Stiftung in Berlin eine internationale Fachtagung zu »Balanced E-Government« ab, an der auch SPD-Innenminister Otto Schily teilnahm. Gemeinsam mit dem Städte- und Gemeindebund gab die Stiftung eine Studie in Auftrag, die empfehlenswerte Kooperationsmodelle in Deutschland ausfindig machen soll.
Auf der Fachtagung präsentierte die Stiftung das Leitbild des »Integrierten E-Government«. Zugrunde liege »ein erweitertes Verständnis von E-Government«, in dem sich Bürgerdienste und Informationsangebote zu einem »umfassenden
Weitere Kostenlose Bücher