Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik (German Edition)
kostengünstiger werde die Dienstleistung.
2007 einigte Arvato sich mit der Stadt und ein Jahr später begann das Projekt, das Pilotcharakter für weitere Kommunen haben sollte. Arvato steuert seitdem alle Abläufe in der Würzburger Kommunalverwaltung über eine zentrale Internetplattform. Ziel sei es, Bürgern, Unternehmen und Partnern alle Dienstleistungen der Stadt über nur eine Anlaufstelle anzubieten. Würzburg erhoffte sich während der Laufzeit von zunächst zehn Jahren Einsparungen in Höhe von mehr als 27,6 Millionen Euro, indem Personal abgebaut wird: 75 Mitarbeiter, die nach und nach in Ruhestand gehen, werden nicht ersetzt. Mehr als zehn der eingesparten 27,6 Millionen Euro sollen an die Stadt gehen, die Projektkosten belaufen sich auf rund neun Millionen Euro. Arvato bleiben demzufolge mehr als acht Millionen Euro Gewinn.
Aber Arvato geht es in Würzburg nicht um diese acht Millionen. Es steht viel mehr auf dem Spiel: Es geht um die Erschließung eines neuen Marktes, der mittelfristig bis zu einer Milliarde Euro jährlich in die Kassen von Bertelsmann spülen soll. Arvato sieht im Würzburger Projekt einen Einstieg in den deutschen Markt mit öffentlichen Dienstleistungen; dreißig weitere Kommunen seien an einer Zusammenarbeit interessiert, betonte Arvato 2008. Derzeit seien Umsatz und Gewinn aus der Sparte Government Services noch gering, sagt Rolf Buch, der aktuelle Vorstandsvorsitzende von Arvato. Der Bereich verfüge aber über großes Potenzial, da in Deutschland rund 1,5 Millionen Personen in Kommunalverwaltungen arbeiteten. Bei durchschnittlichen Jahreskosten von 70 000 Euro pro Mitarbeiter ergebe sich ein Gesamtvolumen von 105 Milliarden Euro. Experten gingen davon aus, dass man davon rund 20 Prozent outsourcen könne. Der potenzielle Gesamtmarkt belaufe sich also auf 20 Milliarden Euro pro Jahr allein in Deutschland.
Bereitet die Stiftung den Nährboden für neue Geschäftsfelder?
Arvato gilt als Goldesel von Bertelsmann. Und dieser Goldesel ist ständig auf der Suche nach neuen Geschäftsfeldern und nach neuen Produkten. Eines dieser Produkte heißt nun: Verwaltungen effizienter machen. Aus Sicht von Bertelsmann agiert man unabhängig, denn es ist ja nicht die Stiftung, die diese Dienstleistung anbietet. Man scheint im Laufe der Jahre gegenüber den Abhängigkeiten blind geworden zu sein. Zwar sind es nicht die gleichen Leute, die beraten und handeln, aber es stehen die gleichen Leute an der Spitze. Dies tut man in der Regel mit einem allgemein formulierten Hinweis ab, das Finanzamt bestätige die Gemeinnützigkeit und deshalb sei alles in bester Ordnung.
Kritiker beruhigt das nicht. Ihrer Meinung nach ist die Vermischung nicht zu rechtfertigen. Tatsächlich wird anhand der Government Services die direkte Verbindung zwischen den Aktivitäten der AG und der Stiftung offenkundig. Was ist gemeinnützig, was privatnützig? Einer der zentralen Konflikte, an dem sich diese Frage stellt, ist der Interessenkonflikt von Gunter Thielen. Er ist Aufsichtsratschef des Unternehmens und zugleich Vorstandsvorsitzender der Stiftung. Wem ist er wirklich zu Diensten: der Allgemeinheit oder dem Unternehmen?
Der heutige Chef der Stiftung war von 1985 bis 2001 Vorstandsvorsitzender von Arvato beziehungsweise des Vorläuferunternehmens Bertelsmann Industrie und als Stiftungschef saß er zugleich im Aufsichtsrat der AG. Nach der Trennung von Thomas Middelhoff wird er dessen Nachfolger als Chef des Unternehmens. Während all der Jahre an der Spitze des Unternehmens war aber klar, dass er zur Stiftung zurückkehren wird, wie Bertelsmann stets betonte. Deshalb nahm er an den Sitzungen des Stiftungsvorstands weiterhin als Gast teil. Darüber hinaus saß er auch in der Bertelsmann Verwaltungsgesellschaft (BVG), die die Stimmen der Stiftung und der Familie Mohn und damit letztlich das Unternehmen kontrolliert. Thielen ist nicht die einzige Führungsperson der Stiftung in solch einer mehrteiligen Funktion. Auch Liz und Brigitte Mohn sitzen in all diesen Gremien.
Thielens Positionen sind aber besonders im Fall der Government Services aufschlussreich, denn als Vorstandsvorsitzender von Arvato baute Gunter Thielen diese Sparte aus. Arvato sollte wachsen und neue Felder erobern. Von Oktober 2001 bis Juli 2002 wechselte Thielen als Vorstandsvorsitzender zur Bertelsmann Stiftung. Mit ihm an der Spitze, widmete sich die Stiftung dem Thema »E-Government – effizient verwalten – demokratisch regieren« und entwickelte
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