Berthold Beitz (German Edition)
interpretiert, dass der Kanzler gute Beziehungen zu Polen erst herstellen wolle, »wenn das gegenwärtige Regime verschwunden sei«. Weitere Kontakte über Beitz »seien zwecklos, denn es geht in dieser Situation um offizielle Kontakte«. Und eben die wollen die Polen, sie verlangen von der Bundesregierung die Anerkennung als gleichwertige Gesprächspartner. Diplomatische Beziehungen lehnt die Bundesrepublik nämlich nach wie vor ab.
Zurück in Essen, berichtet Hundhausen Beitz von diesen wenig ermutigenden Auskünften. In den folgenden Tagen sucht der Generalbevollmächtigte den Kanzler dann persönlich auf und rät ihm, auf die Polen zuzugehen. Adenauer aber, so erzählt Beitz anschließend Hundhausen, habe ihm erklärt: »Er werde 500 000 Wählerstimmen verlieren, wenn er jetzt Polen gegenüber einen solchen Schritt tun würde.«
Es war nicht das letzte Wort. 1960 stattet Cyrankiewicz dem Krupp-Stand in Posen einen Besuch ab. »Wann kommen Sie mal zu uns?«, fragt der Ministerpräsident Beitz. Der antwortet: »Aber ich bin doch hier!« – »Nein, außerhalb der Messe, dann haben wir Zeit, miteinander zu sprechen.« – »Dann müssten Sie mich einmal einladen.«
Das Signal ist eindeutig: Beitz könnte der Mann sein, dem die Polen mehr mitzuteilen haben als Geschäftstalk über die Exportaussichten der Firma Krupp. Vorsichtshalber setzt Beitz den Bundeskanzler dieses Mal davon in Kenntnis, dass er reisen wird; er fragt sogar schriftlich an, ob Adenauer Einwände habe. Die Antwort des Kanzlers: »Ich habe keine Bedenken gegen Ihre Reise, wäre Ihnen jedoch dankbar, wenn Sie mir über die Eindrücke, die Sie in Polen gewonnen haben, eventuell berichten wollten. Mit vorzüglichster Hochachtung, Adenauer.«
Am 6. Dezember 1960 fliegen Else und Berthold Beitz mit einer Privatmaschine nach Warschau. Der Pilot des himmelblauen Krupp-Flugzeugs nimmt, um jede Brüskierung der DDR zu vermeiden, nicht den Weg über ostdeutsches Territorium, sondern über die Ostsee. Am Flughafen in Warschau warten bereits SIS -Staatskarossen und der Privatsekretär des Ministerpräsidenten, einen rosa Nelkenstrauß in der Hand. Ohne jede Pass- und Zollkontrolle geht es hinein in die geheime Welt der polnischen Nomenklatura. »Einen solchen Empfang«, schreibt Hansjakob Stehle in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung , »bereitete man noch keinem westdeutschen Besucher nach dem Kriege.« Eine Woche bleibt das Paar, ein eigener Salonzug steht ihnen zur Verfügung. Im Regierungsschloss Natolin empfängt sie Premier Cyrankiewicz, es gibt ein Dinner mit Kapaun und jugoslawischem Riesling, weiße Rehe stehen im verschneiten Park. Und drinnen begrüßt der Ministerpräsident in exklusiver Runde »einen Mann, der seit zwanzig Jahren ein Freund Polens ist«.
Die Gespräche mit der polnischen Regierungsspitze sind von bemerkenswerter Offenheit. Cyrankiewicz beklagt die »Krokodilstränen« Adenauers über das Leid der Polen während des Krieges – gemeint ist jene Rundfunkrede von 1959 –, die »weitere Verwendung alter Pgs [ NSDAP -Parteigenossen; J. K.] in Beamten-, Richter- und Regierungsstellen« der Bonner Republik und den Einfluss der Vertriebenenverbände auf die CDU / CSU . Beitz, vermerkt Hundhausen, »widerspricht nachdrücklich den Vorwürfen des Revanchismus«, er verweist auf die NS -Prozesse in Westdeutschland, deren Ernsthaftigkeit der Pole sogar anerkennt. Das Gros der Westdeutschen »will gute Beziehungen zu Polen«.
Karikatur aus der Neuen Ruhr Zeitung vom 12. Januar 1961.
Beitz’ Bericht an Adenauer, den er persönlich am 20. Dezember 1960 über die Gespräche informiert, fällt zuversichtlich aus. Und tatsächlich notiert der Kanzler: »Der Ministerpräsident Cyrankiewicz habe die Frage der Herstellung von Beziehungen zwischen Polen und der Bundesrepublik angeschnitten. Er habe dabei gesagt, daß man ja zunächst konsularische Verbindungen herstellen könne. Auf den Einwand von Beitz, daß Polen bisher den Austausch von Botschaftern verlangt habe, habe der Ministerpräsident erwidert, das habe Rapacki getan, nicht er, man könne auch die Frage der Oder-Neiße-Grenze bei den Verhandlungen ausklammern. Es müsse einmal ein Strich unter die Vergangenheit gemacht werden.« Für Beitz sind das »Töne, wie wir sie noch niemals aus Warschau vernommen hatten. Die Friedenshand war ausgestreckt, man brauchte nur zuzugreifen.«
Beitz selbst schreibt im Rückblick: »Für mich war dieses Gespräch [mit Adenauer; J. K.] eine
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