Berthold Beitz (German Edition)
vergesslichen Nachkriegsgesellschaft vorgekommen. »Das waren die Rolling Fifties, die Industrie lief wieder auf vollen Touren, die EWG kam, Adenauer und die Versöhnung mit Frankreich. Da haben wir gedacht: Ach, die Polen … arm, verlaust, verdreckt, alles Kommunisten. Und gar nicht wissend, daß die Polen katholisch sind und darauf warteten, daß man ihnen die Hand gab.«
Daher unterstützt er einen alten Bekannten, den Bundestagsabgeordneten und Hamburger CDU -Vorsitzenden Erik Blumenfeld, als dieser sich 1965 in seiner Partei unbeliebt macht. Der Auschwitz-Überlebende Blumenfeld, in seiner Partei einer der wenigen Befürworter eines Kurswechsels im Osten, rügt die Union dafür, dass deutschlandpolitisch keine Fortschritte zu erreichen seien, solange die Bundesrepublik als Voraussetzung die Rückgabe der Ostgebiete von Polen fordere. In einem Brief an Beitz vom November fasst er seine öffentliche Kritik zusammen: »Wer die Wiedervereinigung von Bedingungen abhängig macht, die sich vielleicht nicht verwirklichen lassen, der verzichtet praktisch auf die Wiederherstellung der Einheit, Freiheit und Selbstbestimmung für alle Deutschen.« Blumenfeld muss eine Flut von Schmähungen seiner Parteifreunde über sich ergehen lassen. Beitz dagegen stärkt ihm den Rücken: »Ich bin mit Deiner Stellungnahme völlig einverstanden.«
Vor allem aber hat Beitz im Osten eine Mission gefunden. Wenn Völker wie die Polen vergebens auf eine ausgestreckte Hand der Versöhnung warteten, dann wollte er diese Hand reichen – mit den Mitteln des Handels und des Geschäfts. Denn jemanden, mit dem man verhandelt, nimmt man als Gesprächspartner ernst.
DIE POLNISCHE MISSION ( 1958–1962 )
Das Land, das Beitz am meisten am Herzen liegt, ist Polen, wo er die Nachtseite der menschlichen Seele gesehen hat. Schon im Juni 1958, also ganz kurz nach dem umstrittenen ersten Moskau-Besuch, tritt er auf der Posener Industriemesse auf. Von Vertretern der Bundesregierung ist nichts zu sehen. In Posen baut er seine Ostkontakte erstmals in DDR -Regierungskreise aus, denn dort trifft er Heinrich Rau, den stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrates.
Erneut kommt es ihm vor, als besuche er alte Freunde. Fast so etwas wie freundschaftliche Nähe verbindet ihn mit dem polnischen Ministerpräsidenten Józef Cyrankiewicz (1911–1989), einem kräftigen, jovialen Mann mit Halbglatze, der um vieles gelöster wirkt als etwa die verkrampft auftretenden SED -Kader um Walter Ulbricht. Der Pole hat Auschwitz und Buchenwald überlebt – und Beitz ist Ende der fünfziger Jahre der einzige Deutsche, den er kennt, bei dem er für diese Leidensgeschichte echtes Verständnis erwarten darf. Das Ganze ist eine jener intuitiv entstandenen Männerfreundschaften von Beitz, die sich nicht scheren um all das, was die Herren tatsächlich trennt, nämlich buchstäblichdie beiden Welten des Kalten Krieges. »Das waren denkwürdige Begegnungen«, sagt Beitz heute, »mit dem Cyrankiewiczkonnte ich sehr gut. Wir haben oft miteinander verhandelt, abends gemeinsam gegessen, ganz ohne Protokoll und Formalitäten. Das wäre heute gar nicht mehr denkbar.« Daher weiß er auch: »Józef Cyrankiewicz hatte zwei wirkliche Leidenschaften: schnelle Autos und schöne Frauen – nun, das ist ja beides nicht verwerflich.«
Die Kontakte zur polnischen Regierung bekommen schon bald eminente politische Bedeutung, als Konrad Adenauer am 1. September 1959, zum 20. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen, eine Radioansprache hält, in der er zwar »Achtung und Sympathie« dem polnischen Volk gegenüber bekundet, dessen Regierung aber gar nicht erst erwähnt. Was versöhnlich klingen soll, empfindet man in Warschau als Affront. Von einem deutschen Zugeständnis in der Grenzfrage war ebenfalls nichts zu hören.
Noch am Tag der Adenauer-Rede scheucht Beitz seinen Kommunikationsdirektor Hundhausen telefonisch in dessen Sommerfrische in Bad Gastein auf. Man müsse jetzt sondieren, »ob die Polen nach diesen Äußerungen überhaupt noch mit uns reden«. Hundhausen wird aktiv und trifft eine Woche später in Wien den polnischen Botschafter Kuryluk, der ihn seinerseits fragt: »Wie können Herr Beitz und die Firma Krupp helfen, die Dinge voranzutreiben?« Nicht viel, für den Moment. Zwar fliegt Hundhausen in Beitz’ Auftrag nach Warschau, wo ihm dessen alter Freund Peter Ehrlich immerhin einen Termin bei Handelsminister Witold Trampczynki verschafft. Der aber hat die Adenauer-Rede so
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