Berthold Beitz (German Edition)
fördern. Von da an bezahlt er dem Lehrlingdas Mittag- und Abendessen, allerdings unter einer bedeutsamen Bedingung. »Sie dürfen nicht rauchen«, sagt er Beitz. Und tatsächlich hat dieser es, gleich dem Vater, niemals getan.
Rudern ist in den dreißiger Jahren ein beliebter Gesellschaftssport in dieser Landschaft mit ihren Seen und Wasserläufen und vor allem der grandiosen Ostseeküste mit ihren langen hellen Stränden. Oft gehört Berthold Beitz, der mehrmals die Woche trainiert, zu den Siegern der Wettfahrten, als Nummer eins im Rennvierer. Mit zwei Freunden und einem einfachen Segelboot macht er weite Segeltouren, bis nach Südschweden. Die Sonne, der Wind, das Gleiten des Bootes, das alles wird zu einer seiner großen Passionen – auch wenn die Jolle, mit der die jungen Leute unterwegs sind, ein sehr viel primitiveres Gefährt ist als die Krupp-Yacht Germania , mit der er Jahrzehnte später die Ostsee befährt.
Gelegentlich zieht es die jungen Stralsunder nach Berlin, mit der Eisenbahn leicht erreichbar. »Mit der Holzklasse sind wir gefahren, vierter Klasse.« Dort hat er eine Freundin, und dort gibt es, undenkbar in der kleinen Stadt am Meer, richtige Jazzclubs, allen voran das »Delphi« von Elfriede Scheibel, nicht weit vom Zoologischen Garten. Hier spielen nachts die »Original Teddies« der Schweizer Jazzlegende Teddy Stauffer jene Musik, die Beitz so liebt und die seit 1935 im Radio nicht mehr gespielt werden darf. Der Völkische Beobachter fordert: »Raus mit dieser Judenmusik.« Beitz aber ficht das nicht an, er geht in Berlins Tanzlokale und wohnt bei Erhard Stuth, einem der Onkel aus seinen Kindheitstagen, der sich mit dem Jüngeren gern ins Berliner Nachtleben stürzt.
1937 ist die unbeschwerte Zeit vorüber. Seine Vorgesetzten bei der Pommerschen Bank sind von seinen Leistungen angetan, vor allem von seiner beredten, zupackenden Art und davon, wie gut er mit den Leuten umgeht, ohne Scheu und Vorurteile. Sie schicken den 25-Jährigen zunächst nach Stettin und bald darauf nach Demmin, als stellvertretenden Leiter der dortigen Filiale, die eine ordnende Hand braucht. Angesichts seiner schlichten Herkunft ist das ein vielversprechender Aufstieg. Der Sohn fühlt sich in Demmin, das ihm nach den Stralsunder Tagen wie ein Landstädtchen vorkommt, doch beengt. Der Darß, das helle Licht, das Meer, sein Erfolg bei den Dingen, die er anpackt – das alles hat sein Fernweh geweckt: »Ich bin doch vom Dorf gekommen und wollte nun lieber in die große weite Welt, ich wollte nach Amerika, ich wollte etwas werden.«
Pommern ist ihm zu klein geworden. Er ist noch ungebunden, ohne Frau und Kinder, alles steht ihm offen, und so schmiedet er große Pläne: Übersee, New York, Brasilien. Seine Mutter verfolgt diese hochfliegenden Ideen mit wachsendem Unbehagen und stoppt sie schließlich, als der Sohn mit der Deutsch-Ostasiatischen Bank verhandelt. Er plant einen Chinaaufenthalt in Tientsin. »Sie hat gesagt: Das kommt gar nicht in Frage. Du bist mein einziger Sohn, du bleibst in Deutschland.« Daher hat er sich vorsichtshalber in Hamburg beworben: bei den Schifffahrtslinien der HAPAG Lloyd, bei der Werft Blohm und Voss, bei Esso, bei Shell. In diesen Vorkriegsjahren eines trügerischen Aufschwungs schreiben ihm tatsächlich alle Personalleiter zurück: Sie wären erfreut, wenn der Bewerber sich einmal persönlich vorstellen würde. Schließlich entscheidet er sich Anfang 1938 für die Rhenania Ossag Mineralölwerke in Hamburg, ein Unternehmen der Ölgesellschaft Royal Dutch Shell, »weil ich glaubte, sie habe das größte internationale Netz und so käme ich am weitesten herum«.
Im Mai 1938 steigt er in Hamburg aus dem Zug, er hat zwei Anzüge in seinem Vulkanfieberkoffer. Nun lebt er in der zweitgrößten und vielleicht, vor ihrer Zerstörung 1943, der schönsten Stadt des Reichs. »Für mich war Hamburg das Tor zur Welt«, sagt Beitz. Wie die meisten Deutschen ahnt er nicht, wie nah die dunklen Schatten des Krieges bereits gerückt sind. Hitlers Regime hat aus dem Reich eine waffenstarrende Großmacht geformt, und der »Führer« ist entschlossen, diese Waffen zur Verwirklichung seiner »Lebensraum«-Pläne in Osteuropa einzusetzen. Die demokratischen Mächte Europas, Großbritannien und Frankreich, haben ihn gewähren lassen und ihre unheilvolle Politik der Beschwichtigung geübt, immer in der Hoffnung, jede Forderung des NS -Regimes werde nun endlich die letzte sein: Hitler hat das Rheinland besetzt, er
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