Berthold Beitz (German Edition)
Seite 3 des brav heruntergespulten Aufsatzes findet sich eine Randbemerkung: »Die Zeit wird zu kurz, ich muß zum Schluß kommen.« Es folgt die knappe Beschreibung des norddeutschen Bauernhofs, beendet von dem Satz: »Drinnen ist alles ruhig und feierlich, während auf dem Hofe das Vieh einen großen Lärm vollführt.« Man kann nicht behaupten, dass sich Studienrat Dr. Sander in seiner Bewertung für die Ausführungen des Eleven begeistert: »Gliederung und Durchführung der Aufgabe sind befriedigend. Aber der Ausdruck zeigt noch Härten und Mängel.« Daher: »im ganzen genügend«. Der Lehrer merkt noch rügend an: »Die Klassenleistungen waren – namentlich im Mündlichen – genügend und besser.«
So ist auch nicht wirklich erstaunlich, dass der Schüler in der Obersekunda sitzenbleibt und eine Klasse wiederholen muss. Und als Jahrzehnte später eine Zeitung schreibt, der berühmte Herr Beitz habe auch mal Probleme mit der Schule gehabt, bekommt er »Briefe von Müttern, die sich bedankten. Sie konnten nun ihren ebenfalls hocken gebliebenen Söhnen sagen: ›Siehste, der Beitz ist auch mal sitzengeblieben und trotzdem was geworden.‹«
Zwar bereitet er also den Eltern, zumal dem pflichtbewussten Vater, nicht nur reine Freude. »Aber«, so Beitz, »ich hatte zu beiden ein sehr gutes Verhältnis. Mein Vater war für mich immer das Sinnbild des fleißigen, pflichtbewussten, preußischen Arbeiters und Soldaten. Er ging morgens pünktlich, er kam abends pünktlich nach Hause. Er war immer korrekt und sehr ordentlich, ohne dabei streng zu sein.« Ein ruhiger, genügsamer Mann, bescheiden in seinen Ansprüchen, ein Vorbild für den Sohn auch darin, die Dinge mit Augenmaß zu betrachten: »Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass mein Vater mal jemanden belogen hat.« Selten geht Erdmann Beitz ins Kino, in Greifswald eines der großen Vergnügen der Mutter. Dort sind die Kassenschlager der späten Weimarer Zeit zu sehen, Filme wie Der blaue Engel oder Die Drei von der Tankstelle . Erdmann Beitz raucht nicht, er trinkt ab und zu abends mit Freunden einen Schnaps, aber für Zechgelage ist er nicht zu haben; sich gehen zu lassen wäre ihm zuwider.
Als Veteran der Ulanen ist ihm die Weimarer Republik fremd. Er gehört dem »Stahlhelm« an, dem rechtskonservativen Bund der Frontsoldaten und verlängerten Arm der Deutschnationalen Volkspartei DNVP . 1930 zählt der Verband eine halbe Million Mitglieder, und es ist ein offenes Geheimnis, dass sie als stille Reserve der Reichswehr gelten. Der »Stahlhelm« teilt die politischen Ziele der DNVP : Abschaffung der Demokratie, Aufkündigung des Versailler Vertrags, Wiederherstellung deutscher Großmacht.
Doch seit der Weltwirtschaftskrise Ende der zwanziger Jahre erscheint selbst der »Stahlhelm« mancherorts als Altherrenverein, gemessen an der NSDAP , der Nazipartei, die jünger und in jeder Hinsicht radikaler ist. Von ihr hält Erdmann Beitz sich fern, sie ist ihm zu pöbelig, zu brutal, zu gefährlich in den Emotionen, die sie schürt. Greifswald zählt zu den frühen Hochburgen der Nationalsozialisten; schon 1931 bekennen sich 60 Prozent der Studenten bei ihren Gremienwahlen zur NSDAP . Vater Beitz wird niemals Parteimitglied, ebenso wenig sein Sohn, der die Nazis mit einem gewissen Missfallen betrachtet, obwohl er, wie viele andere, immer mal wieder gedrängt wird, in die Partei einzutreten. Berthold Beitz ist 19 Jahre alt, als in Berlin Hitler an die Macht kommt. »Ich habe mich nicht groß darum gekümmert, und für mich hat sich auch nicht viel verändert«, sagt Beitz heute. Wichtiger als die Politik ist das Abitur, das er 1934 schließlich ablegt, ohne zu glänzen.
1933 wird, wie alle anderen Verbände, auch der »Stahlhelm« gleichgeschaltet. Wie der Vater achtet Berthold Beitz auf Abstand zu den neuen Machthabern, allerdings aus anderen Gründen: »Es war mir eigentlich egal, aber ich hatte überhaupt keine Lust, mit diesen Leuten in Uniform durch die Straßen zu marschieren. Was mich damals interessiert hat, waren Mädchen und das Segeln.« Fackelzüge, Aufmärsche, Führerkult, das alles ist sehr weit fort von seinem Lebensgefühl, und da er 1933 schon volljährig ist, bleibt ihm auch die Hitlerjugend erspart, die ihm all das zugemutet hätte.
DAS RESPEKTIERTE KIND: PRÄGUNG
Was ist es nun in dieser Kindheit, das den Erwachsenen prägen wird? Gibt es überhaupt etwas, was ihn zu dem Mann formt, der den SS -Offizieren am Bahnhof von Boryslaw gegenübertreten
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