Berthold Beitz (German Edition)
hat 1938 Österreich »angeschlossen«, den Tschechen das Sudetenland entrissen und seine Panzer dann 1939 nach Prag rollen lassen, und sein nächstes Ziel wird Polen sein.
Im hellen Hamburger Sommer von 1939 ist der Krieg gleichwohl unvorstellbar, und Berthold Beitz’ Leben steht weiter unter günstigen Sternen. Er arbeitet jetzt als kaufmännischer Angestellter in der Revisionsabteilung der Deutschen Shell, deren Büropalast direkt am Westufer der Außenalster liegt, mit einem langen Garten hinunter zum See, auf dem die Segelboote fahren. »Im Shell-Haus«, erinnert sich Beitz, »habe ich den Blick auf die Alster lieben gelernt. Damals dachte ich immer: Hier müsstest du einmal den Verwaltungsbau deiner eigenen Firma hinstellen« – was er später in den frühen fünfziger Jahren als Generaldirektor der Iduna-Germania-Versicherung tatsächlich tun wird. Direkt am Ufer unterhalb des Büros erstrecken sich die Tennisplätze des Unternehmens, und nach Feierabend treffen sich die jüngeren Mitarbeiter oft hier oder auf dem alten Schiffchen am Anleger, das als Clubheim dient. Hier begegnet Berthold Beitz 1938 beim Tennis der Liebe seines Lebens, einer schönen blonden Kollegin namens Else Hochheim, gerade 18 Jahre alt.
August Hochheim, der Vater seiner neuen Freundin, ist Handwerker, Tischler, überzeugter Sozialdemokrat, bis 1933 Gewerkschafter vom linken Flügel. Als uneheliches Kind einer Harzer Korbflechterin hat er es mit Talent und starkem Willen bis zum Werkmeister gebracht. Die Schule war kurz, aber mit großem Wissensdurst eignet sich Hochheim eine beachtliche Bildung an. Das Geld reicht für Stehplätze der Hamburger Oper, die er mit seiner hochmusikalischen Tochter gern besucht. Er hasst die Nazis. Beitz, der bis dahin wenig über Politik sinniert hat und bald die Tochter Hochheim heiraten wird, schätzt ihn vom ersten Moment an: »Er war ein idealistischer Mensch, sehr klug und gebildet, ein Mann mit Prinzipien.«
August Hochheim hat seiner Tochter nicht den Wunsch erfüllen können, das Abitur zu machen und zu studieren. Immerhin setzt er durch, dass sie ein Klavier und Unterricht dafür bekommt; daran sitzt sie oft und spielt Schubert. In der späten Weimarer Zeit war er lange arbeitslos, das Geld bleibt knapp, und Elses Mutter entscheidet hart: Wenn der ältere Bruder deswegen kein Abitur machen durfte, dann darf es die kleine Schwester ebenso nicht. Sie ändert ihre Meinung auch nicht, als Elses Lehrer eigens zu den Hochheims kommen: Das Mädchen sei so begabt, sie solle doch das Abitur ablegen. Aber Else muss nach der mittleren Reife von der Schule abgehen und Geld verdienen.
So kommt sie zur Shell, als Sachbearbeiterin für den Öltransport. Viel Spaß macht der öde Bürojob dem jungen Mädchen nicht – wäre da nicht Berthold, und wäre da nicht ihre um wenige Jahre ältere Freundin, die mit guter Laune und einem gesunden Schuss Exzentrik der Mittelpunkt ihrer Clique ist: Evelyn Döring, die dank einer schottischen Mutter feuerrote Haare hat, außerdem Akkordeon spielt und mit dem Motorrad durch Deutschland fährt. Den Freunden, dem verliebten Paar ohnehin, kommt es vor, als stünde ihnen das Leben weit offen.
Zur Freude des Vaters hat Berthold Beitz in den Jahren 1937 bis 1939 einige Wehrübungen absolviert. Als 1935 die Wehrpflicht wieder eingeführt wird, ist er schon zu alt gewesen, um einrücken zu müssen. Verglichen mit der langen Ausbildung, sind solche Übungen keine große Last; Beitz gehört zu den besten Schützen, und im Frühjahr 1939 ist er Feldwebel der Reserve und Offiziersanwärter. »Ich hatte mich um den Offiziersrang beworben«, erinnert er sich später. »Dies war nicht etwa geschehen, weil die Stellung eines Offiziers mein Traumziel gewesen wäre. Nur brauchte derjenige, der als Soldat die dafür nötige achtwöchige Übung absolvierte, nicht in die SA oder SS einzutreten.« Hier zeigt sich eine verbreitete Haltung junger Männer, die sich dem Zugriff der Nazi-Organisationen entziehen wollen: Die Wehrmacht, das deutsche Heer, ist in ihren Augen ein Hort alter konservativer Tugenden. Dabei ist sie 1939 schon kaum mehr als ein willenloses Werkzeug der Diktatur. Hitler hat 1938 unter Vorwänden den Kriegsminister Werner von Blomberg und den Oberbefehlshaber des Heeres Werner Freiherr von Fritsch entlassen, die beide seine aggressive Außenpolitik zu riskant fanden und einen Krieg mit den Westmächten fürchteten. Hitler selbst führt nun den Oberbefehl über eine Armee,
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