Berthold Beitz (German Edition)
deren Stärke mit jedem Monat weiter wächst und die schließlich, am 1. September 1939, in Polen einfällt.
Beitz hat Glück: Sein Regiment hat bei Kriegsausbruch keine Offiziersstelle frei. Überraschend sprechen ihn einige Offizielle der Shell an: Er sei für Polen vorgesehen, für den Einsatz in der Ölindustrie. Deutschland selbst hat fast keine Ölvorräte, im Gegensatz zu Galizien im Osten Polens, das nun der Wehrmacht in die Hände gefallen ist. Schließlich bittet ihn der Personalchef der Shell, Gerhard Neuenkirch, zum Gespräch, ein alter SPD -Mann aus Berlin und gewiss niemand, der den jungen Sachbearbeiter zu einer großen Kriegskarriere drängen würde. Neuenkirch teilt ihm mit: »Wir schlagen Sie dem Oberkommando des Heeres vor, damit Sie als Vertreter der Shell nach Polen gehen.« Auch die Deutsche Shell möchte dort groß in der Besatzungswirtschaft einsteigen, und dafür braucht sie gute Leute.
Beitz steht vor einer schwierigen Entscheidung. Nimmt er Neuenkirchs Angebot an, muss er Else in Hamburg zurücklassen; Angehörige ziviler Angestellter dürfen nicht mit ins Besatzungsgebiet. Schlägt er es aus, wird ihn die Wehrmacht früher oder später zum Kriegsdienst holen. Zögernd sagt er zu, auch ein wenig gelockt vom abenteuerlichen Charakter des Unternehmens. Beitz’ Freunde in der Firma sticheln: »Berthold, bist du verrückt? Was willst du denn in Galizien, da gibt es doch nur Läuse und Wanzen!« Sie raten ihm letztlich aber aus einem ganz anderen Grund ab: »Den Krieg gewinnen wir doch in einem halben Jahr – und dann sitzt du da unten.«
Nach Boryslaw, seinem späteren Einsatzort, kommt Beitz noch nicht sofort. Im Geheimen Zusatzprotokoll des Hitler-Stalins-Pakts vom August 1939 ist das Gros des Fördergebiets den Russen zugeschlagen worden, ein grober strategischer Fehler, den Außenminister Joachim von Ribbentrop bei den Verhandlungen mit Stalin vergeblich rückgängig zu machen versucht. Doch der Diktator bleibt hart: Dieses Pfand wird er nicht aus der Hand geben, er verspricht aber, den deutschen Partner großzügig mit Öl aus Galizien zu versorgen.
Und so kommt es, dass der 26-jährige Berthold Beitz im kalten Winter 1939 in Polen eintrifft, dem unterworfenen Nachbarland. Seine erste Station ist Jaslo zu Füßen der polnischen Karpaten, ein altes K. u. k.-Städtchen mit freundlichen Gründerzeitbauten. Hier am Höhenzug der Beskiden erstreckt sich jener westliche Teil des Ölgebiets, der zur deutschen Seite gehört. Beitz gilt hier bald als unabkömmlich, ist er doch ein Fachmann im Dienst der wichtigsten Kriegsindustrie, der Ölversorgung, der Förderung des Treibstoffs, ohne den kein Messerschmitt - 109- Jäger starten und keiner der hochmodernen ersten Krupp- Panzer IV zum Angriff rollen könnte.
Beitz leidet unter der Trennung von Else. Er weiß bereits, dass sie schwanger ist. Und so kehrt er im Dezember 1939 kurz nach Hamburg zurück und macht Else einen Heiratsantrag. Einen Tag vor Silvester wird das Paar in Hamburg getraut, eine Hochzeit in Zeiten des Krieges und eine Ehe, die viele Jahrzehnte überdauern wird. Im April 1940 bringt Else Beitz in Greifswald vorzeitig Zwillinge zur Welt, Barbara und Ingrid. Die besonders zarte Ingrid stirbt schon nach wenigen Wochen an einer Lungenentzündung.
Berthold Beitz kann seiner Frau wenig beistehen. Im gleichen Jahr wird er nach Krosno versetzt, nicht weit von Jaslo entfernt. Er ist nun leitender Angestellter der im Auftrag eines deutschen Firmenkonsortiums arbeitenden Beskiden-Öl, »Gruppe Ost«. Mit Mühe gelingt es ihm endlich, seine Frau nachzuholen. Er verschafft Else eine Anstellung als Sekretärin, womit sie eine Aufenthaltserlaubnis für das Generalgouvernement erhält. Die kleine Barbara bleibt vorläufig bei Großmutter Erna in Greifswald.
Die Besatzungsherrschaft in Polen ist brutal. »Ich habe damals allerdings nicht geglaubt, dass es so schlimm würde, wie ich es dann in Boryslaw gesehen habe«, sagt Beitz heute. Mit jüdischen Arbeitern und ihrem Schicksal ist er in Krosno nicht befasst; er leitet die Buchhaltung und die Versandabteilung. Der Dünkel, mit dem die Besatzer die polnische Bevölkerung behandeln, ist ihm fremd, ja zuwider. Er versucht es anders zu machen. So ist er freundlich und hilfsbereit gegenüber der einheimischen Schneiderin, die für Else Beitz Kleider näht und die ihrem eigenen Bruder noch lange von den beiden Deutschen erzählt, die sich menschlich verhielten und nicht wie die Sieger, die
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