Berthold Beitz (German Edition)
den Entwicklungsländern auf die Märkte, deren Werke billig produzieren, weil die Unternehmen, anders als in Deutschland, kaum Geld in Umweltschutz, Arbeitssicherheit und soziale Absicherung der Beschäftigten stecken müssen. Es ist ein ungleicher Kampf. Auf der erwähnten Hauptversammlung sagt Beitz: »Die deutsche Stahlindustrie bekennt sich zwar zu einem fairen und offenen Wettbewerb, sie kann indessen nicht in Konkurrenz mit Industrien anderer Länder bestehen, die auf vielfältige Weise staatlich gefördert werden.«
Dem Stahl geht es dabei noch besser als der Kohle. Im Kern ist Krupp ein Stahlunternehmen, und zumindest hochwertiger Stahl hat Zukunft. Zu Golo Mann sagt Beitz: »Alfried Krupp hat klipp und klar entschieden, wir verkaufen die Kohle, aber beim Stahl bleiben wir.« 1965/66 schließt Krupp deshalb vier Kohlezechen, darunter die große Zeche Helene mitten in Essen. 10 000 Kumpel müssen gehen. Auch wenn der Konzern den meisten Betroffenen Ausgleichsstellen anbietet, bedeutet das Ganze für die traditionsbewussten Kruppianer einen Kulturbruch. Es kommt zu Demonstrationen in grauen Ruhrstädten, wilden Streiks, verzweifelten Protesten – Szenen, wie sie das Ruhrgebiet sehr lange nicht mehr gesehen hat, aber noch sehr oft sehen wird. Ab April 1967 müssen die Beschäftigten fünf Prozent Lohnkürzung hinnehmen. Alfried Krupp, der krank ist und sich mehr und mehr zurückzieht, leidet still. Seine Beschäftigten mögen aufbegehren, es nutzt nichts. Und es ist noch nicht genug – vor allem aber ist es zu spät, um die große Finanzkrise abzuwenden.
»WIR SIND BESCHEIDEN«:
DIE KRUPP-KRISE 1967
Auf den Bundespressebällen in der Bonner Beethovenhalle ist Berthold Beitz in den sechziger Jahren ein gern gesehener Gast. Zwar ist dies die Generation, für die Tanzstunden noch wie selbstverständlich zur Erziehung gehörten und der das Herumhüpfen zu schweren Bässen als neue Unsitte einer fehlgeleiteten Jugend gilt. Dennoch ist das Bonner Establishment nicht gerade mit feurigen Tänzern gesegnet. Noch im Rückblick amüsiert sich die Schauspielerin Rena Liebenow, die gut mit dem Ehepaar Beitz befreundet ist: »Berthold hat es verstanden, mit den Damen über die Tanzfläche zu schweben und sie dabei noch gut aussehen zu lassen. Und die Frauen liebten das – es war ja selten genug.« Die Klatschreporter sehen das Wirken des Generalbevollmächtigten auf dem Parkett ebenso: »Unbestrittener Star unter den Tänzern war Berthold Beitz. Nur mit Mühe vermochten Vizekanzler Mende und Bundesaußenminister Dr. Schröder seinem Beispiel zu folgen, von den ›gewichtigeren‹ Kabinettsmitgliedern ganz zu schweigen.« So schwärmt selbst die siebzigjährige Wilhelmine Lübke über den Mann, den die Boulevardzeitungen als »Deutschlands attraktivsten Manager« rühmen und den der sowjetische Dichter Jewgeni Jewtuschenko gar »den schönsten Kapitalisten, den ich je sah« nennt. Nachdem Beitz die Gattin des Bundespräsidenten zum Klang von »Eine Nacht voller Seligkeit« auf die Tanzfläche bat, gesteht sie den Klatschreportern: »Ach, von ihm lasse ich mich gern führen.« Und augenzwinkernd fügt die füllige Matrone hinzu »… oder auch verführen.«
Nach dem Presseball im November 1965 ist Berthold Beitz, untadelig gekleidet wie stets, wieder in allen Zeitungen zu sehen. Diesmal allerdings weniger in seiner Rolle als Beau aus dem Reich der Kohle und des Stahls. Beitz braucht eine Münze für die Tombola, und er leiht sich zur Freude der Fotografen ein 50-Pfennig-Stück bei Finanzminister Rolf Dahlgrün: »Männer, die ständig mit Milliardenwerten umgehen, können bei Kleingeld manchmal in Verlegenheit kommen«, witzelt die Stuttgarter Zeitung .
Eine Szene voll unfreiwilliger Symbolik. Beitz’ Verführungskünste auf dem Bonner Parkett verlieren rasch ihren Zauber. Denn schon bald steht Ungemach ins Haus, bei dem es um viel mehr als um Kleingeld geht, nämlich um die schiere Existenz von Krupp. 1966 ereilt die Krise das Unternehmen, schneller und härter, als es Beitz je für möglich gehalten hätte. Obendrein besitzt die Firma, immer noch ausschließlich in der Hand Alfried Krupps, »die Rechtsform eines Tante-Emma-Ladens« (so der Historiker Werner Abelshauser). Schon deshalb bietet sich Krupp als ideales Ziel für Wirtschaftsminister Karl Schiller an – als Sozialdemokrat kann er es den Kapitalisten am Exempel von Deutschlands größtem Privatunternehmen einmal zeigen, zumal es günstigerweise keinen
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