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Berthold Beitz (German Edition)

Berthold Beitz (German Edition)

Titel: Berthold Beitz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Käppner
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plant: der neue Unternehmenssitz, entworfen von dem Architekten Ludwig Mies van der Rohe, dem Pionier des Neuen Bauens. Beitz hat von jeher das Weite, Lichte, Großzügige geliebt, beim Bauen wie in der Kunst. Mies van der Rohe war Chef des Bauhauses und hat die Weißenhofsiedlung in Stuttgart entworfen; 1937 ist der Architekt vor dem NS -Regime nach Chicago geflüchtet. Architektur, lehrt er dort seine Studenten, sei eine Sprache mit der Disziplin einer Grammatik: »Man kann sie im Alltag als Prosa benutzen – und wenn man sehr gut ist, kann man ein Dichter sein.«
    In Amerika wird Mies van der Rohe auch zum Doyen des Hochhausbaus – er errichtet die Seaside Apartments in Chicago und 1958 das Seagram Building an der Park Avenue in Manhattan, ein Kunstwerk aus Licht, Glas und Stahl, die Formensprache einer neuen Zeit. So etwas gefällt Berthold Beitz, und eben im Seagram Building lernt er den schon betagten Architekten 1959 bei einem Besuch in New York kennen, denn im 36. Stock residiert, mit weitem Blick über die Straßenschluchten, die US -Niederlassung von Krupp. Bei ihrer nächsten Begegnung, 1960 in Detroit, lädt Beitz Mies van der Rohe ein, nach Essen zu kommen: Krupp plant ein Verwaltungsgebäude für die Konzernleitung, und Mies van der Rohe scheint ihm der richtige Architekt zu sein, den Sitz eines Stahlunternehmens zu gestalten. Immerhin hat er den Einsatz von Stahl im Bauwesen revolutioniert.
    Was Mies van der Rohe 1961 in Essen als Entwurf vorstellt, ist die Verkörperung des neuen Konzerns, den Beitz und Alfried Krupp geschaffen haben: ein flaches, dreistöckiges Gebäude mit zwei Höfen und offenem Erdgeschoss, Glas dominiert die Fassade. Es soll am oberen Eingang des Hügelparks stehen, von dort aus führt der Weg hinunter zur Villa; ein kurzer Weg entlang alter Buchen und schöner Wiesen, von der Gegenwart zur Vergangenheit. Beitz liebt solche Entwürfe, die den Ort gleichzeitig zum Symbol machen. Es ist ein Plan von schlichter und hoher Eleganz, ganz nach dem Motto Mies van der Rohes: »Weniger ist mehr.« Verglichen mit dem lichten Haus, mutet der alte Konzernsitz im und am Turmhaus an wie eine Geisterburg.
    Mies van der Rohe baut dann doch nicht in Essen. Bei Krupp ist der Widerstand enorm, denn, so Beitz im Rückblick, an den Hügel-Park ziehen sollte allein die Konzernleitung, nicht etwa die allgemeine Verwaltung mit ihren etwa 1800 Angestellten. »200 Personen genügen, größer wollen wir das Haus nicht haben, die anderen haben ihre Büros woanders.« So gering die Begeisterung jener ist, die zurückbleiben sollen, so groß ist die Zahl der Bedenkenträger, die nun in Jahren, in denen bis dahin so unbekannte Begriffe wie »Sparmaßnahmen« und »Personalreduzierung« durch die Sitzungen des Direktoriums geistern, ein Argument auf ihrer Seite haben: die Kosten. Und gerade 1966, als Beitz mit einem Kraftakt das Projekt noch einmal angehen will, sind Kosten plötzlich seine Hauptsorge. »Es war wirklich schade. Da habe ich nicht genug aufgepasst.« Es reut Berthold Beitz noch heute, dass er sich damals nicht durchgesetzt hat.
    Das Scheitern des Vorhabens ist ein unheilvolles Zeichen. 1966 steht ein Minus von 43 Millionen in der Bilanz, im Jubeljahr 1961 sind es noch über 115 Millionen Überschuss gewesen. 1966 beklagt Alfried Krupp auf der jährlichen Feier der Krupp’schen Firmenjubilare, dass »die starke Aufwärtsentwicklung des Umsatzes … deutlich nachgelassen hat«, nun seien »Strukturverschiebungen nicht zu vermeiden«. Ein Halbsatz, der ihn Herzblut kostet. Das stolze Schloss, das Alfried Krupp errichtet hat, beginnt zu bröckeln, die Hochburg der Montanindustrie wankt. Beitz hat endlich begonnen, die Notbremse zu ziehen, wie er 1966 in seiner Rede auf der Hauptversammlung der Krupp Hüttenwerke andeutet: »Ich halte eine drastische Verringerung der Förderquote des deutschen Steinkohlebergbaus für erforderlich.«
    Neu ist freilich auch ein Umstand, welcher der deutschen Stahlindustrie ab den sechziger Jahren zu schaffen macht, der in Deutschland aber von Gegnern der staatlichen Subventionspolitik gern kleingeredet wird, 1966 ebenso wie vier Jahrzehnte später: Auf dem internationalen Markt gibt es keinen fairen Wettbewerb. Viele Staaten, etwa Frankreich und Italien, stützen ihre Stahlerzeuger mit schwindelerregenden Milliardensummen, überwiegend aus innenpolitisch motivierten Sorgen vor sozialen Unruhen. Bei der Kohle gilt Vergleichbares. Gleichzeitig drängen Konkurrenten aus

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