Berthold Beitz (German Edition)
Aufsichtsrat gibt, in dem verdiente Genossen sitzen würden. Und schließlich gereicht es Krupp zum Nachteil, dass die Firma, anders als ein Aktienunternehmen, ihre Bilanzen nicht offenlegen muss: Was im Konzern vorgeht, erscheint von außen betrachtet nebulös. Das erklärt zumindest teilweise das spätere Verhalten der Banken.
Auch Beitz selbst bekommt den Sturmwind zu spüren. Der Spiegel schreibt: »Wie Ratten aus den Löchern krochen nun die Neider aus der Deckung und fielen über Krupps Hausmeier her. Denn so inbrünstig wie niemand sonst sind die Deutschen fähig zur Schadenfreude.« Diese Rolle ist neu für Beitz, den Sieggewohnten. »Das war ein Intrigenspiel«, klagt er bis heute, »und ich war doch sehr down darüber, wie sie uns behandelt haben.« Und »sie« – das sind die Banken.
Das Beitz’sche Schreckensjahr 1967 beginnt im Januar mit einem Empfang an der Düsseldorfer Börse. Bei dieser Gelegenheit bittet der Aufsichtsratsvorsitzende der Dresdner Bank, Hans Rinn, den Bundeswirtschaftsminister um ein vertrauliches Gespräch. Während ein paar Meter weiter die Champagnergläser klirren, erfährt Sozialdemokrat Schiller Erschreckendes: Krupp kann nicht mehr zahlen. Die Dresdner Bank ist mit 53 anderen Banken an der AKA beteiligt, der deutschen Ausfuhr-Kreditgesellschaft, die üblicherweise Firmen Geld für die Finanzierung von Exporten bereitstellt. Das heißt, sie soll das auch in diesem Fall tun, doch jetzt lehnt sie ohne jede Vorwarnung ab. 1966 hat Krupp den Auftrag von der polnischen Regierung erhalten, dort eine chemische Fabrik für 300 Millionen Mark zu errichten – an sich eine prächtige Frucht des Osthandels. Krupp will das Ganze über einen Exportkredit der AKA – insgesamt 360 Millionen Mark – finanzieren. Von jeher ist es ein Problem des Ostgeschäfts, dass die kapitalschwachen Staaten hinter dem Eisernen Vorhang zwar zuverlässig, aber mit großer Zeitverzögerung zahlen. Nur haben die Banken jetzt Verdacht geschöpft, Krupp könne am Ende seiner Liquidität sein, und drehen deshalb den Geldhahn zu. Immerhin würde Krupp mit einem so großen Kredit allein ein Fünftel ihres gesamten Kreditvolumens verschlingen. Das größte deutsche Privatunternehmen kann das Geld selbst nicht mehr vorstrecken. »Wir waren bis an die Grenze der Liquidität gegangen«, erklärt Beitz viel später in einem Spiegel -Interview. »Wir hatten ja kein Kapital von draußen, so wie die anderen Firmen alle, die an der Börse vertreten waren.«
Das Geld fehlt also, wie Beitz keine Woche nach dem erwähnten Börsenempfang Karl Schiller in Bonn gestehen muss. Es dürfte eines der unerfreulichsten Gespräche seiner Industriellenkarriere gewesen sein, im Rittersaal der Godesberger Burg, Teil eines avantgardistischen Betonensembles, vom Stararchitekten Gottfried Böhm in die alte Festung der rheinischen Kurfürsten hineingebaut. Weit reicht der Blick über den Rhein, das Siebengebirge und auf das Regierungsviertel, das Zentrum der Macht, wo nun sehr bald über Krupps weiteres Geschick bestimmt werden wird. Während die Gäste bei dem Empfang für den rumänischen Außenminister auf der Godesberger Burg die Aussicht bewundern, muss Beitz Farbe bekennen: Die AKA weigert sich zu zahlen, und insgesamt hat Krupp Verbindlichkeiten von über drei Milliarden Mark, mehr als die Hälfte der Bilanzsumme von 5,3 Milliarden. 1966 hat der Konzern 43 Millionen Verlust gemacht. Ohne weiteren Kredit sind die Rückzahlungen gefährdet. Die Firma ist, so viel ist klar, nach Jahren des eindrucksvollen Aufschwungs verschuldet.
Die Politik wird Krupp, dieses Symbol deutscher Industrie, nicht fallenlassen. Immerhin stehen 100 000 Arbeitsplätze auf dem Spiel. Organisiert wird die Hilfe von Schiller und Hermann Josef Abs, dem überaus mächtigen Vorstandschef der Deutschen Bank. Wie später auch Beitz gilt der Banker, der, persönlich nicht uneitel, gerne Spitznamen wie »König von Deutschland« über sich hört, bereits als Ikone des Wiederaufstiegs der Bundesrepublik. Er war enger Vertrauter und Berater von Adenauer; auf Erhard hingegen, den intellektuellen Ökonomen, sah er eher herab. Er ist auf deutscher Seite Architekt des Londoner Schuldenabkommens von 1952 gewesen, mit dem die junge Bundesrepublik aus dem Schatten des Dritten Reiches herauszutreten begann. Seine eigene Rolle als Vorstand der Deutschen Bank in der Nazizeit wird stets umstritten bleiben: Abs, ein gläubiger Katholik, war damals zwar nicht Mitglied der Partei,
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