Berthold Beitz (German Edition)
Aufstieg erlebt. In den sechziger Jahren baut Krupp in der Eifel einen Versuchsreaktor für die Kernforschungsanlage in Jülich, den der Konzern gemeinsam mit der Firma Brown Boveri entwickelt hat. Die Atomtechnik gilt vielen als Zukunftstechnologie, auch Beitz. Ihm schwebt der Bau und Verkauf von Hochqualitätsreaktoren Marke Krupp vor, und er will in ein Geschäft einsteigen, das in der Tat bald ein sehr lukratives sein wird. Zweifel an der Nukleartechnik sind einer späteren Generation vorbehalten. Vogelsang lehnt den Vorschlag solcher Investitionen rundheraus ab – derlei bestimme der Vorstand, und er sei dagegen. Noch 1977 wird Beitz sagen: »Damit haben wir eine große Chance vertan, in eine moderne Technik hineinzukommen. Das wäre doch in der heutigen Zeit eine unerhörte Beschäftigung für uns gewesen.«
Vogelsang erlebt, was Beitz selbstkritisch in einem Interview mit der New York Times 1972 so beschreibt: »Es ist schwierig, mit mir auszukommen. Ich bin ein Außenseiter im deutschen Geschäftsleben, und das war ich immer.« Aber trotz aller Reibereien: Vogelsang hat den Konzern mit Erfolg saniert, und Beitz’ Stellung – Vertreter der Stiftung als Eigentümerin – ist dadurch umso stärker geworden. Insofern hat er gar kein Interesse, den alten Weggefährten und Kontrahenten nun loszuwerden, ganz im Gegenteil. 1972 steht die Verlängerung des fünfjährigen Vertrags als Vorstandschef an. Der Aufsichtsrat tagt im Stiftungsgebäude auf dem Hügel, im Anschluss werden Cocktails gereicht. Draußen wartet in grimmiger Stimmung Günter Vogelsang, der schließlich erfährt, man habe soeben seinen Vertrag verlängert. Keiner aber habe ihn gefragt, ob er zustimme, so erinnert er sich; keiner habe wissen wollen, ob er das Amt überhaupt annehme. Einen Tag später geht er in Beitz’ großes Arbeitszimmer und sagt: »In einem Unternehmen, das aktienrechtlich ordentlich organisiert ist, muss der Aufsichtsrat seine Vorstände fragen, ob sie das Amt annehmen. Das haben Sie nicht gemacht.« Beitz ist irritiert: »Nun sind Sie mal nicht so pingelig.«
Pingelig oder nicht, Günter Vogelsang nimmt seinen Abschied, »mit großem Bedauern«, wie er sagt. Und natürlich geht es ihm nicht um Formalien, sondern ums Prinzip. »Das ist der Stil des Hauses Krupp«, habe er Beitz damals gesagt, »dieser Mann wird dieses, jener jenes, und gefragt wird keiner.« Und dieser Stil ist Ausdruck von Macht, einer Macht, die Beitz zurückerobert hat und die Vogelsang nicht hinnehmen will. »Berthold Beitz hat signalisiert: Der Chef hier bin ich«, so Vogelsang im Rückblick. »Mein neuer Vertrag nahm mir eine Reihe von Zuständigkeiten, was ich nicht akzeptieren konnte: Nichts sollte ohne Berthold gehen.«
Genauso ist es. Nichts geht mehr ohne ihn. Beitz ist zurück.
SPÄTE ABBITTE IN ESSEN: ABS’ LETZTES GESCHENK
Die sanften Hänge des Taunus, nicht weit von Frankfurt entfernt, sind von jeher ein beliebter Rückzugsort der Reichen und Prominenten aus der Bankenstadt gewesen. Beschauliche Kleinstädte, wohlrestaurierte Fachwerkhäuser unter Burgruinen, und etwas außerhalb stehen unter großen Bäumen die Villen und Sommerhäuser der Betuchteren. Hier lebt Ende der siebziger Jahre Hermann Josef Abs, und hier stattet Beitz dem einstigen Gegner einen Besuch ab. Er hat dienstlich in der Region zu tun, und er findet den Mann, der einst der mächtigste Banker des Landes war, ganz allein in seinem Haus vor. An den Wänden hängen kostbare Gemälde, die Rollläden sind halb herabgelassen, um die Bilder vor dem Sonnenlicht zu schützen. Abs, so scheint es Beitz, ist nicht glücklich, er klagt über Probleme mit der Gesundheit, mit der Familie. Am Gürtel trägt er einen Piepser, so kann er jemanden herbeirufen, wenn er etwas braucht. Berthold Beitz tut er leid: »Er war ein großer Mann – aber so einsam.«
»Liebling der Götter« – so hat der Banker Berthold Beitz einmal genannt. In dieser Bezeichnung schwingt vieles mit: Achtung und ein wenig Neid, Anziehung und gewiss Abstand. Wen die Götter lieben, der ist ein glücklicher Mann, aber damit ist noch nicht beantwortet, ob er sich zu Recht in ihrer Gunst sonnt. Zur Zeit des Besuchs steht die Frage noch im Raum: Wer hatte recht, damals, 1967? Das beschäftigt Beitz noch, als er Golo Mann nicht ohne Bitterkeit ins Tonband diktiert: »Abs ist ein Mann, der sich hervorragend benimmt, wenn es um sein persönliches Prestige geht. Abs tut alles, was Abs guttut.«
1993, kurz vor Berthold
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