Berthold Beitz (German Edition)
Beitz’ 80. Geburtstag, besucht ihn der greise Abs in Essen und äußert eine Bitte: »Ich möchte gern auf Ihrer Geburtstagsfeier reden.« Der Jubilar ist überrascht, stimmt aber zu. Abs soll noch vor Bundeskanzler Helmut Kohl sprechen, der sich ebenfalls angesagt hat. Als Hermann Josef Abs in der festlich geschmückten Villa Hügel schließlich ans Rednerpult tritt, wird es ganz leise im Saal. Als der 91-Jährige in seiner Rede zum Jahr 1967 kommt, sagt er: »Die sogenannte ›Krupp-Krise‹ des Jahres 67 [war] eine Liquiditätskrise, seltsamerweise nicht des Hauses Krupp, sondern einiger Banken, die nicht Herr der Lage waren und daher die Hilfe der Bundesbank suchten und Gehör fanden … Es war keine Krise Krupp, sondern eine Krise in der Bankenstruktur jener Zeit.« Die Banken der AKA , so Abs sinngemäß, seien nämlich nervös geworden und hätten gefürchtet, wenn sie Krupp weitere Kredite gäben, könnte das Geld sehr wohl verloren sein. Das Gleiche hatte der frühere Dresdner-Bank-Chef Krüger Beitz schon 1970 geschrieben, aber aus dem Mund von Abs ist es eine Entschuldigung von historischer Größe.
Nach dem Essen von erstaunten Gästen befragt, reagiert Beitz zunächst mit einem Scherz. »Ich glaube, es gibt eine ganz einfache Erklärung. Herr Abs wusste, er würde nicht ins Himmelreich kommen, bevor er nicht etwas erledigt hatte. Denn Petrus war zu ihm gekommen und hatte gesagt: Da ist noch etwas zu tun. Du hast Beitz schlecht behandelt – der hat doch so viel Gutes getan.«
Er hat die Lacher auf seiner Seite, und doch spürt er eine tiefe Genugtuung, ja Freude. Der Kampf mag lange zurückliegen, ein Vierteljahrhundert schon. Und doch weiß fast jeder im gebannten Auditorium, was diese Worte von Hermann Josef Abs bedeuten. Klaus Bölling, der ehemalige Regierungssprecher Helmut Schmidts, empfindet sie beim Zuhören als »ein pater peccavi, eine Abbitte«. Es ist die Abbitte des Mannes, der Berthold Beitz eine der größten Niederlagen seines Lebens beigebracht hat und der jetzt erklärt: Ich war im Unrecht, wir Banker waren es.
Was Abs zu diesem späten Eingeständnis bewogen hat, ist nicht überliefert; er selbst hat sich dazu bis zu seinem Tod im Jahr 1994 nicht mehr erklärt. Die Deutungen gehen weit auseinander: Vogelsang, von 1967 an der Sanierer von Krupp, hält die Geburtstagsrede für Beitz heute »für einen großen Fehler. Abs war so, er wollte oft etwas Freundliches sagen. Aber er hatte 1993 nicht recht: Es war sehr wohl eine Krise Krupp.« Es überrascht nicht, dass Beitz die Sache gänzlich anders sieht. Aber Gedanken über die Motive von Hermann Josef Abs hat er sich natürlich auch gemacht: »Ich hatte ihn ja nicht gedrängt, auf der Feier zu sprechen. Er kam mit diesem Wunsch zu mir, und ich war sehr erstaunt darüber.«
Berthold Beitz glaubt, die Antwort in der Einsamkeit zu finden, die Abs in den späten Jahren umgab. »Als er dann nicht mehr Chef der Deutschen Bank war, war er recht allein. Viele Freunde aus dem Bankgewerbe sind weggeblieben. Und ich denke, er hatte das Gefühl, er müsse noch etwas wiedergutmachen, und das hat er dann in Essen getan.«
Der Retter und der Henker:
Die Hildebrand-Prozesse
EIN MANN OHNE VERGANGENHEIT
Er war hochgewachsen und kräftig, aber verhärmt; seine Augen unter dunklen, buschigen Brauen wirkten manchmal leer, als begreife er vieles nicht, was um ihn herum geschah. Besondere Fertigkeiten besaß er nicht. Wie so viele Gestrandete im Nachkriegsdeutschland schlug er sich mehr schlecht als recht durch. Er kam in Lauenburg unter, einem Fachwerkstädtchen mit Industriehafen an der Elbe, dicht an der sowjetischen Zone, putzte die Jeeps der britischen Besatzungssoldaten und fuhr für geringen Lohn Taxi. Der Krieg hatte ihn von seiner Frau und seinen Kindern getrennt, eine Weile musste er fürchten, sie seien tot.
Schließlich fand er seine Frau in einer Göttinger Klinik. Ein frohes Wiedersehen war es nicht. Sie war entstellt und rechtsseitig teils gelähmt. Wie das Bremer Landgericht später feststellte, war die Frau im oberschlesischen Beuthen nach dem Rückzug der Wehrmacht in ein Internierungslager für Deutsche gebracht und dort von polnischen Wachen furchtbar geschlagen worden.
Die Familie führte zunächst eine eher klägliche Existenz. Die kranke Mutter kümmerte sich, soweit es ging, um die Kinder, er schlug Holz im Harz und verdiente 180 D-Mark monatlich im Jahr 1949, dann aber verunglückte er bei der Waldarbeit und verlor seine
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