Berthold Beitz (German Edition)
Mehrfaches.
In dieser Situation nimmt der Iran aus westlicher Sicht eine Schlüsselstellung ein: muslimisch zwar, aber nicht arabisch, von der Pahlewi-Dynastie prowestlich regiert und Erbe der alten persischen Hochkultur, die schon Griechen und Römern ebenbürtig gewesen ist. »Solange wir Öl anbieten können, bekommen es die westlichen Staaten und Japan von uns«, verkündet der Herrscher auf dem Pfauenthron. Der Iran präsentiert sich als verlässlicher Freund und Partner des Westens – allerdings zu seinen Konditionen: In nur zehn Jahren, so der Schah, werde sein Land dank der Ölmilliarden »auf europäischem Standard angekommen sein«. Diese »weiße Revolution« soll das Kaiserreich in die erste Reihe der entwickelten Nationen erheben – auch dank westlicher Industrie. Und als eine von deren allerersten Adressen gilt Krupp.
Den Kontakt zum Hof des Schahs hat Beitz schon im Mai 1973 geknüpft, mit Hilfe des deutschen Botschafters Georg von Lilienfeld. Der vornehme Diplomat, alter baltischer Adel, hat das Vertrauen des Schahs, reitet gelegentlich sogar mit dem Herrscher aus und fädelt bei einer Iran-Reise deutscher Industrieller 1973 einen ersten Kontakt ein, einschließlich einer Begegnung mit dem Schah. »Die dabei geführten Gespräche waren sehr interessant und lassen auf verstärkte deutsche Aktivität im Iran hoffen«, schreibt Beitz danach an Lilienfeld. Zurück in Deutschland, entwirft Beitz, nach einem Blick auf die Bilanzen und einem Gespräch mit seinem Hausbankier Jürgen Ponto von der Dresdner Bank, den großen Masterplan vom persischen Geld: »Ich habe bei der Grundsatzentscheidung sonst niemanden gefragt, nicht in der Firma, nicht bei den Banken.«
Beitz schreibt an Reza Pahlevi persönlich, er sei höchst beeindruckt von den Aufbauleistungen im Lande, und verspricht dank Krupp’scher Spitzentechnik »interessante Lösungen für sehr große Projekte«; die Möglichkeit einer Beteiligung erwähnt er vorerst, wie er intern vermerkt, »bewußt nicht«. Nebenbei lässt er die Krupp’schen Archivare Nachforschungen anstellen, ob sich nicht Anknüpfungspunkte zwischen Essen und Teheran finden lassen.
Und tatsächlich: 1973 ist es genau 100 Jahre her, dass seine kaiserliche Majestät Nasir ad Din Schah von Persien das Deutsche Reich besucht und die Krupp’sche Gussstahlfabrik in Augenschein genommen hat. Das Ganze taugt aber leider nur begrenzt dazu, eine Tradition der Zusammenarbeit herzuleiten. Zumindest lässt sich das aus einem Brief an die Firmenleitung schließen, in dem ein Krupp-Beamter namens Hagemann 1873 sauertöpfisch seine Erleichterung zum Ausdruck bringt, dass »der Schah mit seinem Gefolge, welches nicht gerade den angenehmsten Eindruck machte, glücklicherweise nur einige Stunden auf dem Etablissement zubrachte«. Dies mag mit einem interkulturellen Missverständnis zu tun gehabt haben, das sich in der Fabrik zutrug. O. E. Richter, der »Chef der Kanonen und Mechanischen Werkstätten«, erläuterte dem Beherrscher der Gläubigen gerade die Vorzüge von Präzisionsgeschützen, als er »in dem ungeheuren Getriebe der Fabrik seine [des Schahs; J. K.] Aufmerksamkeit auf einen entgegenkommenden Wagen lenken wollte«. Dabei berührte er den Schah leicht an der Schulter: »Als aber seine Begleiter dies sahen, legten sie die Hand an die Dolche und machten Anstalten, sich auf Richter zu stürzen, weil er freventlich gewagt hatte, die geheiligte Person des Schah zu berühren.« Nichtsdestoweniger bestellte Nasir ad Din Schah seinerzeit 18 solide Krupp-Kanonen, Kaliber 9.
Beitz hat durchaus andere Größenordnungen im Sinn. Lilienfeld teilt er nach umfangreichen Vorbereitungen mit: »Lassen Sie den Ball rollen.« Im September 1974 fliegt er an der Spitze einer kleinen Krupp-Delegation, zu der auch der Vorstandsvorsitzende Mommsen zählt, erneut nach Teheran. Nach einem Mittagessen bei Ministerpräsident Amir Abbas Hoveyda geht es weiter in den Golestan-Palast, den »Ort der Rosen«, eine der Residenzen des Schah-in-schah, wie der Herrscher auf Persisch genannt wird. Der Palast mit seinen Gärten, hellen Räumen und filigranen Säulen hat etwas Märchenhaftes und scheint Welten entfernt von der Gegenwart des unruhigen Landes, der großen Mehrheit der Analphabeten, der arbeitslosen Jugend und dem heimlichen Flüstern in den staatlich überwachten Koranschulen. Ebenfalls 1974, im Jahr des Vertragsabschlusses mit Krupp, besucht der ARD -Journalist Peter Scholl-Latour die Stadt Mesched, eine
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