Berthold Beitz (German Edition)
Mommsen, der das Rentenalter erreicht hat, aber gern weitergemacht hätte, schließlich aus, unzufrieden mit seiner Rolle als zweiter Mann und nicht ohne Beitz hinterherzurufen: »Die Anregung, in den Iran zu gehen und den Schah in Anspruch zu nehmen, stammt von mir.« Das steht indes in bemerkenswertem Widerspruch zu einem früheren Spiegel -Interview, in dem er das Gegenteil behauptet hat: »Die Idee stammt von Herrn Beitz.« Dessen Wunschkandidat für die Nachfolge Mommens, Alfred Herrhausen, Vorstandsmitglied der Deutschen Bank, scheint zunächst nicht abgeneigt, bleibt dann aber doch beim Frankfurter Geldhaus. Und einmal mehr ist ein Vorstandschef nicht gerade im besten Einvernehmen von Beitz geschieden. Das Ungeheuer, das Beitz so spöttisch zitiert hat, scheint doch lebendiger zu sein, als ihm lieb ist.
Der Nächste ist, mit Beginn des Jahres 1976, der altgediente Krupp-Manager Heinz Petry, bis dahin im Vorstand für den Anlagenbau zuständig. Er bleibt vier Jahre. Krupp schreibt rote Zahlen, die ungelösten Strukturprobleme sind immer noch dieselben wie beim Abschied Vogelsangs. Ohne das iranische Geld wäre der Konzern jetzt nicht weit vom Ende entfernt. 1977 sind in Deutschland noch 210 000 Stahlarbeiter beschäftigt, aber jeder dritte ist in Kurzarbeit. Die Stahlkrise mit ihren weltweiten Überkapazitäten und Subventionen hält die Branche in Atem. Dennoch scheitert Petrys Versuch, mit Thyssen, Klöckner und Salzgitter einen mächtigen Firmenverbund zu schaffen. Weiterhin leidet jede der Traditionsfirmen für sich allein.
Erfreulicher als die Lage daheim ist für Beitz noch immer das Wohlwollen, das er in Osteuropa genießt. Im November 1977 reist er mit Bundeskanzler Helmut Schmidt und dem SPD -Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner einmal mehr nach Polen. Schmidt ist der erste Regierungschef aus Westdeutschland, der die Gedenkstätte Auschwitz besucht.
Am 26. September 1978 wird Berthold Beitz 65 Jahre alt. Das Berufsleben der meisten Menschen geht in diesem Alter zu Ende. Nicht so bei Beitz, wie die Frankfurter Rundschau anmerkt: »Berthold Beitz, sonnengebräunt und athletisch wie stets … denkt nicht daran, seinen Platz zu räumen. Vielmehr schwingt er sein hartes Zepter weiter über den Konzern.« Daran ändert auch nichts, dass er 1980 einmal bekennt: »Ich will mich künftig auch mal zurücklehnen können.« Da ist der insgesamt glücklos agierende Petry gerade durch einen weiteren Kruppianer ersetzt worden, Wilhelm Scheider, 52 Jahre alt, Pommer wie Beitz und seit 1973 bei Krupp. Er übernimmt das Steuer eines Konzerns, der 12,8 Milliarden Euro Umsatz macht, aber weiterhin Probleme bei Stahl und Werften hat und in einer Erfolgsbranche, dem Anlagenbau, mörderischer Konkurrenz ausgesetzt ist. Und noch immer wacht die graue Eminenz vom Hügel über das Treiben der Firmenleitung – auch wenn Scheider tapfer behauptet: »Ich sehe da keine Probleme. Die Geschäfte macht der Vorstand.« Aber das haben schon andere vor ihm gesagt.
1981 spricht Beitz einmal über Boryslaw, und sein Gesprächspartner hat die Gräuel der Besatzung selbst erlebt: Papst Johannes Paul II ., das polnische Oberhaupt der katholischen Christenheit. In einem Fernsehfilm des WDR heißt es über die Audienz für das Ehepaar Beitz im Vatikan: »Das Gemeinsame zwischen dem protestantischen Ehepaar Beitz und Karol Wojtyla, dem polnischen Widerstandskämpfer von 1939: ihre Zivilcourage während der Nazi-Besatzungszeit in Polen.« Beitz sagt den Reportern: »Er war sehr interessiert an der Zeit, die wir in Polen verbracht haben.«
Die Kontakte nach Osten bleiben intensiv. Auf der Villa Hügel wird 1981 ein deutsch-polnischer Vertrag zur Gründung eines Forschungszentrums für Kohleveredelung unterschrieben, ein von der Stiftung finanziertes Großprojekt. Im selben Jahr empfängt Beitz zu Hause den sowjetischen Vize-Ministerpräsidenten Leonid Kostandow, mit dabei ist Max Grundig; die Deutschen planen ein neues Ostgeschäft, Grundig möchte in der UdSSR Videorecorder bauen lassen. Die WDR -Fernsehleute, die Beitz noch immer begleiten, verfolgen das Gespräch fasziniert: »Der äußere Rahmen wirkt so, als ob man sich gerade zufällig getroffen hätte. In Wirklichkeit steckt hinter dem improvisierten Charme von Beitz geplantes Kalkül. Gemeinsam mit den Blumen kommen die Angebotsmappen auf den Tisch.«
26. September 1983, ein strahlender Herbsttag. Eine lange Schlange festlich gekleideter Menschen zieht sich vom Vorplatz der Villa
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