Berthold Beitz (German Edition)
Hügel durch die große Halle mit den Ölgemälden der Krupp’schen Ahnen bis in die Bibliothek. Dort warten Else und Berthold Beitz. Der Jubilar, der seinen 70. Geburtstag feiert, trägt eine dunkelrote Rose im Knopfloch und nimmt die Huldigungen der 500 Gäste entgegen. Unter ihnen sind FDP -Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff, der mit dem Helikopter einfliegt, Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Johannes Rau und der sowjetische Botschafter Wladimir Semjonow. Max Grundig und Ludwig Poullain sind da, auch Aenne Burda und Paul Kuhn, der mit seiner Combo im Gartensaal Jazzstücke spielt, wie sein Freund Beitz sie liebt. Kein Hauch von Abschied oder Nostalgie liegt auf diesem Fest. Berthold Beitz kennt keinen Ruhestand. Krupp ist und bleibt seine Lebensaufgabe.
»ZU MÜDE DIESEM GEGENSTAND GEGENÜBER«:
GOLO MANN UND BERTHOLD BEITZ
»Was möchten Sie sein?«
Jemand, der glücklicher ist als ich.
»Ihre gegenwärtige Geistesverfassung?«
Tiefe Unzufriedenheit mit meinen Arbeiten, so wie sie in den letzten acht Jahren waren.
Zwei Antworten, die der berühmte Historiker Golo Mann, Sohn des Literaturnobelpreisträgers Thomas Mann, 1980 im »Fragebogen« des Magazins der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gibt. Der Autor der Deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts (1958) und der monumentalen Wallenstein -Biographie (1971), geboren 1909, ist Mitte der siebziger Jahre in einer Schaffenskrise. Wallenstein , das ist große historische Erzählkunst, bildgewaltig, analytisch scharf und psychologisch klug, das schiere Gegenteil der verkrampften Theorieschriften, die zur selben Zeit in der Geschichtswissenschaft modisch werden. Doch – was nun? Große Projekte nimmt Golo Mann sich vor, Biographien – Bismarck, Cicero, Eichendorff –, und verwirft sie resigniert wieder. Es sei, schreibt Manns Biograph Tilmann Lahme, »symptomatisch für die Lebensphase, dass Golo Mann schließlich nicht von sich aus eine Entscheidung traf, sondern sich zu einer solchen bestimmen ließ«. Nicht über den Begründer des Deutschen Reiches von 1871, nicht über den römischen Rhetor und Cäsar-Gegner, nicht über den Genius der deutschen Romantiker wird er schreiben, sondern über Alfried Krupp von Bohlen und Halbach.
Dazu hat ihn Berthold Beitz bewogen, der ihn im Frühjahr 1974 mit Charme, Beredsamkeit und einem üppigen Honorar von 120 000 Mark im Jahr dazu überredet, zum zehnten Todestag des letzten Krupp 1977 dessen Leben aufzuschreiben. Ahnungsvoll notiert Golo Mann: »Das sollte ich wohl nicht tuen. Sollte.« Aber er tut es doch. Und das Projekt wird ihn nicht aus der Melancholie der späten Jahre hinausführen, sondern nur noch tiefer hinein.
Beide jüngere Biographen Manns, Tilmann Lahme und Urs Bitterli, schildern das traurige Geschick des Werks und seines Autors ausführlich: Die Entschlussschwäche wird Golo Mann auch nach seiner Zusage nicht los. Lange unternimmt er gar nichts, der ursprüngliche Abgabetermin verstreicht, erst 1977 führt Golo Mann erste Interviews, die ausführlichsten mit Beitz, dem er im April desselben Jahres versichert: »Ich werde jetzt anfangen zu schreiben, ich bin dieses Vorbereitungsstadiums schon lange überdrüssig.« Beitz beginnt in der Folge höflich zu mahnen. Erst 1981 schickt Golo Mann 134 Manuskriptseiten nach Essen, noch immer verdrossen über sein Werk, das nur bis zum Zeiten Weltkrieg und damit nicht über die jungen Jahre Alfrieds hinaus gediehen ist.
Am 8. Juli 1981 treffen sich Beitz und Mann dann in Essen, wo der Industrielle dem Gelehrten zu dessen schmerzlicher Überraschung eröffnet: Es sei vielleicht besser, gegen eine Abfindung von 150 000 Mark auf die Veröffentlichung zu verzichten. Entschieden ist es noch nicht, das Kuratorium muss noch tagen, von dem freilich nicht zu erwarten ist, dass es sich gegen Beitz stellt. Alfrieds Bruder Berthold, der das Manuskript in einer einzigen Nacht durchgeschaut hatte (grimmig notiert Mann: »So recht aufnahmefähig und zum genauen Lesen lustig war er ganz offenbar nicht«), hat tags zuvor an Beitz geschrieben: »Ich gebe Ihnen recht: Ich würde es auch nicht für gut halten, das Buch zu veröffentlichen! Das bedaure ich sehr, habe mich mit ihm angefreundet und freue mich auf jedes Gespräch mit ihm … Ich will und darf nicht zensieren, weil ich zu familiennah bin.« Zu nah an der für die Familie gewiss schmerzlichen Schilderung der persönlichen Verhältnisse Alfried Krupps, etwa »der Details des ersten
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