Berthold Beitz (German Edition)
Ehmke lehnt aus Protokollgründen ab: Der Mann sei nicht hochrangig genug. Dabei ist die Sache heikel, denn der Kreml zürnt wegen »Radio Free Europe«, das von München aus in den jeweiligen Sprachen in den Ostblock sendet.
Beitz lädt die russischen Gäste auf die Germania VI ein; Pawlow darf sogar ans Steuerruder. So segeln sie auf dem Schiff die Förde entlang, als der Sendemast von Radio Kiel in Sicht kommt. Der Deutsche zeigt ihn dem Emissär aus Moskau: »Da, Herr Pawlow, schauen Sie mal: Radio Free Schleswig-Holstein.« Worauf der mitreisende Botschaftsrat Wladimirow schlagfertig antwortet: »Herr Beitz, wo ist Kanone?«
Außer Humor bietet Beitz auch die nötigen Kontakte, um die Verstimmung der Russen zu lindern. Er organisiert ein Treffen mit Brandt auf seiner Lieblingsinsel Sylt, wo der Kanzler just im Urlaub ist. Mit dem Hubschrauber fliegen Beitz und Pawlow von Kiel an die Nordsee, und im Restaurant »Sturmhaube« steigt dann ein ausgelassener deutsch-sowjetischer Gipfel der besonderen Art. Zu Pawlow sagt der Kanzler: »Ich würde mich freuen, wenn die Olympischen Spiele einmal in der Sowjetunion stattfinden würden.«
Das werden sie acht Jahre später tatsächlich auch tun – und den Olympiafreund Beitz dann noch mehr beschäftigen, als ihm lieb ist. 1972 aber ist Deutschland der Gastgeber, zum ersten Mal seit 1936, als Hitlers Reich sich in Berlin selbst inszenierte. Die Spiele von 1972, weltweit übertragen, zeigen der Welt ein anderes Deutschland, ein modernes, weltoffenes Land, das seinen Platz in der internationalen Gemeinschaft gefunden hat.
»Beitz hat für die Spiele 1972 sehr vieles bewirkt«, sagt heute Walther Tröger, damals Generalsekretär des Nationalen Olympischen Komitees, dem er dann von 1992 bis 2002 selbst vorstehen sollte. »Berthold Beitz hatte diese Ausstrahlung eines sympathischen, aber willensstarken elder statesman – und ein Netz von Kontakten zu guten Freunden wie den IOC -Präsidenten Avery Brundage und Lord Killanin.« Er sorgt vor allem dafür, dass die Kieler Wettbewerbe den Vergleich zu München nicht zu scheuen brauchen, statt ein bloßes Anhängsel zu sein. Sein Standardsatz »Kiel läuft!« ist bis zum heutigen Tage bei den Beteiligten ein geflügelter Ausspruch.
Beitz lernt Daume als begnadeten Organisator kennen. So hat Daumes Stab in München in der Etage über dessen Büro eine futuristische »Leitzentrale« einrichten lassen, »im Stil von Raumschiff Orion«, wie der CSU -Abgeordnete Hans Klein spottet, nur habe sich dort, anders als im schnellen Raumkreuzer der damals sehr beliebten ARD -Serie, selten etwas Bemerkenswertes ereignet. Die Entscheidungen fallen allein beim Chef: »Er war kein Vordränger, aber die Fäden liefen auf ihn zu. Geschah das nicht von selbst, sorgte er dafür.«
In Kiel wirkt auf nicht unähnliche Weise Berthold Beitz; die Stadt dankt es ihm später mit der Ehrenbürgerwürde. Aus gutem Grund: Kiel erhält 1972 einen Autobahnzubringer, die neue Kanalhochbrücke und das Regattazentrum, alles zukunftsweisende Investitionen in einer alten Arbeiterstadt, die es nicht immer leicht hat. Zur Zeit der Segelwettbewerbe entspannt sich Beitz gern auf seine Weise: bei einem guten, bodenständigen Essen. Er kehrt sehr häufig in einem Landgasthof an der B 404 ein, wo es Saueraal mit Bratkartoffeln gibt. Ansonsten hält er gern Hof an der Pressebar des Olympiazentrums, des beliebtesten Treffs während der Spiele in Kiel. Am 3. September laufen siebzig große Segelschiffe aus vielen Nationen zur »Windjammer-Parade« aus. Vor 500 000 Zuschauern nimmt Bundespräsident Gustav Heinemann diese Parade ab und bekundet, er habe »noch nie so etwas Schönes gesehen«.
Zu Heinemann überliefert Olympiaplaner Marheineke noch eine hübsche Anekdote. Vor dem Eintreffen des Bundespräsidenten führt Beitz den Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher durch das Olympiazentrum in Schilksee, und Marheineke scheint es, als lasse sich der gewiefte FDP -Politiker auffallend viel Zeit. Offensichtlich möchte er mit auf die Pressefotos über Heinemanns Empfang in Kiel. So kommt Beitz, im Schlepptau den Minister samt Entourage, zu spät: Der hohe Gast ist schon da und wartet vor zahlreichen Fotografen und Kameraleuten – keine schöne Sache für die Etikette. Beitz jedoch geht locker auf Heinemann zu und ruft: »Herr Bundespräsident, Sie sind zu früh.« Das ist die Art Humor, die Heinemann mag.
Aber dann schlägt das Terrorkommando des Schwarzen September in
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