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Berthold Beitz (German Edition)

Berthold Beitz (German Edition)

Titel: Berthold Beitz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Käppner
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dass er mitunter ins Poltern gerät: »Herrn Carters Erklärungen interessieren mich nicht. Wetten, daß wir in Moskau teilnehmen?«
    Da überschätzt er allerdings seinen Einfluss, und die Wette wird er verlieren. Er ist mit dieser Haltung freilich in guter Gesellschaft. FDP -Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff hält den Olympiaboykott für »Unfug«, und Exkanzler Brandt schimpft über die Entscheidung seines Nachfolgers: »Niemand soll glauben, daß man durch einen Boykott einen einzigen Soldaten aus Afghanistan herausholt.« Im Kabinett ist es Hans-Jochen Vogel, 1972 Oberbürgermeister der Olympiastadt München und nun Bundesminister der Justiz, der warnt: Ausgerechnet das Land der Invasoren von 1941 (»Wir haben uns dort uneingeladen eingefunden«) verletze nun »die Gefühle des russischen Volkes«. Es ist eine bittere Auseinandersetzung, die schon das Ende der Ära Schmidt erahnen lässt: der Realo-Kanzler gegen große Teile seiner Partei und ihrer Anhängerschaft.
    Schmidt befindet sich in einer äußerst unangenehmen Lage, in der er nur die Wahl zwischen zwei Übeln hat: Entweder er brüskiert die deutschen Sportler und alle, die sie unterstützen, inklusive großer Teile der SPD , oder den amerikanischen Präsidenten. Im Rückblick sagt er daher: »Das hat mir so gestunken.« Nach dem Einmarsch der Russen in Afghanistan hat der Kanzler aus Washington »Signale« erhalten, wonach die USA als Sanktion einen Boykott der Spiele erwägen. In einem Telefonat mit Präsident Carter versucht er, sich Klarheit zu verschaffen, und erfährt von diesem: Ein Olympiaboykott sei nicht der richtige Weg. »Aber 14 Tage später hat mir Carter dann das Gegenteil erzählt: Die USA würden nicht an den Spielen in Moskau teilnehmen. Er hat von den europäischen Nato-Verbündeten verlangt: Wenn wir nicht hingehen, geht Ihr auch nicht hin!« So sei Carter eben gewesen, sagt Schmidt: »Alles, was er sagte, war ehrlich. Aber er wechselte ständig die Meinung, und die nächste Meinung war dann genauso ehrlich.«
    Nun könnte Schmidt sich ebenso wenig darum scheren wie die Regierungen in London und Paris, die ihre Olympioniken trotz amerikanischer Pressionen nach Moskau fahren lassen. Aber dort ist man auch nicht in dem Maße von den USA abhängig wie in der Bundesrepublik, die eine lange Grenze zum Warschauer Pakt hat und von dessen neuen SS-20 , atomaren Mittelstreckenraketen mit je drei Sprengköpfen, zusätzlich bedroht wird. In Westeuropa stehen keine vergleichbaren Waffen, und Schmidts Sorgen finden in Washington zunächst wenig Gehör. Dabei haben die SS-20 -Raketen die Sicherheitslage deutlich verschlechtert; würden sie je gegen die Bundesrepublik eingesetzt, müssten die USA eine fatale Eskalationsstufe höher mit Interkontinentalraketen zurückschlagen und eine atomare Apokalypse entfachen, die auch Amerika selbst gefährden würde. Allein schon die Drohung mit der neuen Waffe hat das Kräftegleichgewicht in Europa verschoben. Bei einem Krisentreffen mit Carter, dem britischen Premier James Callaghan und dem französischen Staatspräsidenten Giscard d’Estaing gelingt es Schmidt, die Partner von der Notwendigkeit einer nuklearen Nachrüstung zu überzeugen. »Diesen Streit hatten wir gerade erst hinter uns, als die Debatte über die Teilnahme an den Olympischen Spielen losbrach. Aber was sollte ich tun? Ich konnte nicht andauernd mit den Amerikanern Streit beginnen – die Bundesrepublik war schließlich von ihnen abhängig.«
    Nie zuvor hat sich Beitz öffentlich so exponiert, nicht einmal damals, als er noch ein einsamer Pionier der Versöhnung in Osteuropa war. Doch das ist zumeist ein diskretes Geschäft gewesen. Jetzt schlägt er eine offene Schlacht. In einem Artikel schreibt er: »Die Welt steckt in einer schweren Krise, aber ein Olympiaboykott kann sie nicht bessern. Im Gegenteil: Er kann das politische Klima nur verschlechtern.« Schmidt schickt er ein Protesttelegramm, und im Fernsehen moniert er, der Sport werde als »Hebel der Politik« benutzt. In Moskau erklärt er dem WDR -Hörfunk: »Wir haben ein Wahljahr in Amerika, und Herr Carter spielt auf diesem Wahlklavier.« Im November 1980 wird Carter die US -Präsidentschaftswahl übrigens gegen den erzkonservativen Ronald Reagan verlieren.
    Im April 1980 aber spaltet der Konflikt um die Sommerspiele das deutsche NOK selbst. In der aufgepeitschten Stimmung wird mit harten Bandagen gekämpft. Thomas Bach, später Gründungspräsident des Deutschen Olympischen

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