Berthold Beitz (German Edition)
eines der wichtigsten Ölgebiete des deutschen Herrschaftsbereichs und für 13 000 Arbeiter. Aus Boryslaw allein kommt die Hälfte der Gesamtförderung der Beskiden-Öl- AG . Reichsmarschall Hermann Göring selbst hat am 22. Juli 1941 angeordnet, die galizischen Förderfelder dem Unternehmen zu übergeben. Als Erstes werden die Schäden behoben, welche die Rotarmisten angerichtet haben. Es hat schlimmer ausgesehen, als es ist. Schon Ende Juli erreicht die Produktion in Boryslaw wieder drei Viertel des Standes vor dem Krieg.
Berthold und Else Beitz richten sich mit der Zeit ein, die Front rückt rasch nach Osten fort. Sie sind froh, als sie schließlich die kleine Barbara zu sich holen können. Die Familie ist wieder vereint. Else Beitz arbeitet nicht mehr, sondern kümmert sich um das Kind. Anfangs fehlt es an vielem. Beitz schickt seinen polnischen Kutscher aufs Land, damit er bei den Bauern Petroleum gegen Lebensmittel tauscht. Der Mann fährt mit dem Pferdewagen los und kehrt abends zurück, mit Kartoffeln, Butter in Kohlblättern, Milch, Brot und Flusskrebsen. Es gibt einen Garten mit Ställen und einen offenen »Landauer«, einen Wagen für Zugpferde, mit dem sich Beitz in der ersten Zeit durch Boryslaw fahren lässt. Später bekommt er einen Mercedes als Dienstwagen. Auch entstehen Freundschaften, etwa mit Hermann (»Jo«) Malz, einem wie Beitz für Personalwesen zuständigen Direktor am Verwaltungssitz der Ölgesellschaft in Lemberg, und dessen Frau. Mit dem Ehepaar Malz feiern sie in Boryslaw Weihnachten, hören Jazzschallplatten und reden wenig Gutes über die Nazis, von denen auch der Katholik Malz nichts hält.
Die Beskiden-Öl wird nach der Eroberung Ostgaliziens noch im Juli neu strukturiert. Ab Oktober 1942 heißt sie »Karpathen-Öl AG « unter dem Vorstandschef Karl Große und seinem Vize Hermann Malz. Noch im selben Jahr steigt die Bedeutung der galizischen Ölfelder für die Kriegswirtschaft noch einmal deutlich: Ende 1942 scheitert der Vorstoß der Wehrmacht auf die reichen Ölfelder jenseits des Kaukasus. Gleichzeitig werden die Raffinerien in Deutschland immer öfter von Briten und Amerikanern bombardiert; Ostgalizien liegt aber noch jenseits der Reichweite ihrer Flugzeuge. Diese gewichtige Stellung des Unternehmens ist sehr bedeutsam für Beitz’ Rettungsaktionen, ebenso ein weiterer, ihn begünstigender Umstand: Die Führung liegt in der Hand von effizienten Managern wie Große, der zwar Mitglied der NSDAP war, sich aber »jeder parteipolitischen Propaganda enthielt«. Für die Spitze der Karpathen-Öl zählt vor allem Effizienz, das bringt sie in einen Gegensatz zur Vernichtungspolitik des Regimes gegen die Juden. Die Karpathen-Öl setzt sich deswegen mehrfach bis zu SS -Führer Himmler für die Schonung der jüdischen Fachkräfte in ihren Reihen ein.
Außer in der Lemberger Zentrale betreibt sie auch im nahen Drohobycz Raffinerien und unterhält dort viele Verwaltungsposten. Aber in der Betriebsinspektion Boryslaw ist Beitz als kaufmännischer Leiter der faktische Chef. Er führt die Geschäfte und vertritt das Boryslawer Fördergebiet nach außen; der zweite Direktor, der technische Leiter Erich Radecke, bleibt neben ihm blass. Beitz hat in seiner Ölstadt ziemlich freie Hand. Er leitet seinen Außenposten mit Effizienz. Der neue Mann bezieht als Sitz der Betriebsinspektion sein Hauptquartier in einem für Boryslawer Verhältnisse modernen, im sachlich-kühlen Stil der zwanziger Jahre errichteten Verwaltungsblock nahe dem Zentrum in der Slowackistraße. Es ist ein großer Betrieb, Beitz hat allein fünfzig deutsche Mitarbeiter, die meist auf dem Firmengelände wohnen.
Das Land, in dem er nun lebt, ist jener östliche Teil Polens, der nicht dem Reich einverleibt wird, das Generalgouvernement, in Krakau regiert von dem Nazibonzen Hans Frank, den seine Höflinge als »König von Polen« bezeichnen. Das Land ist zur Ausbeutung freigegeben, seine Bewohner sind rechtlose Heloten, für die nur ein Gesetz gilt: Wehe den Besiegten!
Beitz, der junge Direktor, handelt anders. Er sieht die Unterworfenen als Menschen. Von Beginn an sorgt er dafür, dass auch die einheimischen Arbeiter ausreichend versorgt und ernährt werden – keineswegs eine Selbstverständlichkeit in den Rüstungsbetrieben des Ostens. Es gibt eine Bäckerei, eine Schweinezucht – und einen regen Schwarzhandel. Beitz gründet sogar eine Genossenschaft mit eigenen Verkaufsläden für die Werksangehörigen und ihre Familien: »So
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