Berthold Beitz (German Edition)
wurden viele tausend Menschen mit Essen versorgt. Das war eine Riesenorganisation, aber sie hat gut geklappt.« Seine Lemberger Vorgesetzten sind sehr von ihm angetan, denn die Ölförderung läuft wieder. Außerdem kommen sie gern beim organisationstüchtigen Beitz vorbei, in der Erwartung, »mit ein paar schönen Speckseiten, Schinken und Butter« zurückzufahren.
Doch es ist, wenn überhaupt, nur ein kurzer Schein von Normalität. Beitz weilt noch keine zwei Wochen in der Ölstadt, als SS -Führer Heinrich Himmler im fernen Berlin folgenden Befehl erlässt: »Gegenüber Wehrmacht ist zu betonen, daß im rückwärtigen Gebiet der höhere SS -Führer Verfügung über alles hat, was dem Reichsführer SS gehört … Auch für den Sicherheitsdienst gilt das Vorstehende.« Das Reichssicherheitshauptamt ( RSHA ) hat bereits vor »Barbarossa«, dem Einmarsch in die Sowjetunion, vier Einsatzgruppen gebildet, die dann im Rücken der Front Hunderttausende Morde begehen werden, die Opfer sind zumeist Juden. Dies ist ein Krieg neuer Art, ein Krieg ohne Beispiel: Ein ganzes Volk soll vernichtet werden, aus rassenideologischen Motiven, denen der verhasste Bolschewismus als jüdisch dominierte Gegenwelt gilt. Es ist eine Ideologie des Mordes, die zwanzig Jahre zuvor von Gestrandeten des Ersten Weltkriegs, seelisch Verwahrlosten wie dem jungen Adolf Hitler, in Münchner Bierschwemmen ausgeheckt wurde. Inzwischen ist sie eine tödliche Verbindung mit dem tiefsitzenden Antisemitismus von Teilen der deutschen Gesellschaft eingegangen. Ein möglicher »Führerbefehl« hat sich nicht erhalten, aber die Führung des NS -Staates beginnt nun mit der systematischen Ermordung des Judentums.
Die Werkzeuge des Mordes sind auch in Galizien zunächst die Einsatzgruppen und andere Einheiten der SS , die Gestapo, regional im nahen Drohobycz untergebracht, sowie die Polizei. In Boryslaw wütet ab Herbst 1941 eine relativ kleine Dienstabteilung Wiener Schutzpolizisten unter dem Kommando des Hamburger Leutnants Gustav Wüpper. Die Männer morden, rauben und foltern, ein weiterer Beleg dafür, wie scheinbar »ganz normale Männer« zu Monstern werden. Zu Wüppers Leuten gehört Heinrich Nemec, ein schwergewichtiger, sadistischer Wiener, der sich gern mit jungen Männern umgibt und die neugebildete, bei den Juden als Hort antisemitischer Kollaborateure gefürchtete ukrainische Polizei kommandiert. Ganz im Sinne des Himmler-Erlasses setzt sich in Drohobycz und Boryslaw die SS sehr bald über zaghafte Einwände der Wehrmachtskommandantur hinweg und beginnt ein Regime des Schreckens.
Die Führung der Wehrmacht hat weder die moralische Kraft noch den Willen, den Morden entgegenzutreten. Nicht weit vom Ölrevier, in der alten K. u. k-Festungsstadt Przemyśl, demonstriert dagegen ein mutiger Oberleutnant, was möglich gewesen wäre, wenn die Armee nur gewollt hätte: Als die SS am 26. Juli 1941 erneut Juden deportieren will, lässt Ortskommandant Alfred Battel seine Soldaten die Brücken zur Stadt besetzen und Maschinengewehre in Anschlag bringen. Ein einmaliger Fall, in dem die Wehrmacht Himmlers Häscher unter Androhung von Waffengewalt vertreibt, offiziell zum Schutz der für die Armee arbeitenden Juden. Battel wird dafür 1982, freilich postum, dieselbe Auszeichnung als »Gerechter unter den Völkern« erhalten wie Berthold und Else Beitz.
In Boryslaw dagegen protestiert der Wehrmachtskommandant halbherzig und unentschlossen gegen eine Einmischung von SS und Gestapo in seinen Kompetenzbereich. Ohne Erfolg, denn die Mordmaschinerie läuft an. Der Essener Staatsanwalt und Publizist Bernd Schmalhausen hat 1991 die Berichte dokumentiert, die SS -Hauptscharführer Felix Landau als Chef des »jüdischen Arbeitseinsatzes« bei der Sicherheitspolizei niedergeschrieben hat. Bei der ersten Verhaftungswelle Ende Juli 1941 trifft es vor allem bekannte Boryslawer Juden, außerdem »Intelligenzler« und wahllos herausgegriffene Opfer. »Wir suchen«, schreibt Landau, »nach einem geeigneten Ort zum Erschießen und Vergraben. Nach wenigen Minuten haben wir so etwas gefunden. Die Todeskandidaten treten mit Schaufeln an, um ihr eigenes Grab zu graben. Zwei weinen von allen. Die anderen haben erstaunlichen Mut. Was wohl jetzt in diesem Augenblicke in den Gehirnen vorgehen mag … Eigentümlich, in mir rührt sich gar nichts. Kein Mitleid, nichts. Es ist eben so, und damit ist alles erledigt.« Zwei Opfer sterben nicht gleich, »sie heulen und winseln noch lange. Die
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