Berthold Beitz (German Edition)
und getötet. Selbst für ein System, das seit der russischen Revolution 1917 über Millionen von Leichen im eigenen Land gegangen ist, sind diese Gräuel himmelschreiend.
Die NSDAP -Propaganda schlachtet die furchtbaren Funde dankbar aus. In vielen Städten lässt sie die Leichen fotografieren und die Bilder veröffentlichen. Das alles, schreiben die Nazizeitungen, sei die Schuld der Juden und Bolschewisten. Und fast überall sind es Juden, die von deutschen Soldaten und den schnell gebildeten Milizen der ukrainischen Nationalisten gezwungen werden, die Leichen zu bergen – so auch in Boryslaw. Hunderte Juden müssen den NKWD -Keller in der Panskastraße räumen, unter ihnen, wie der Historiker Thomas Sandkühler in seiner grundlegenden Studie über die »Endlösung« in Galizien überliefert, ein Junge namens Jan Moldauer, der dort die Leichen eines befreundeten Geschwisterpaares findet und später schreibt: »Das waren frische Leichen … Dieser Bursche Kozlowski und seine Schwester waren darunter. Die Brustwarzen des Mädchens, sie war ungefähr 16 Jahre alt, waren wie mit einer Zange herausgezogen, ihr Gesicht verbrannt … Kozlowski hatte nur ein ganz verschwollenes Auge, seine Lippen waren mit Stacheldraht zusammengenäht, seine Hände zerschlagen und ebenfalls verbrannt, die Haut pellte sich, als ob sie mit kochendem Wasser übergossen worden wäre. Sie war nackt, er nicht … Ich sah mir keine weiteren Leichen mehr an, weil ich es einfach nicht konnte. Aber diese waren meine Freunde (gewesen). So wusch ich ihre Körper.«
Das Grauen ist damit nicht zu Ende. Im Gegenteil. Es hat erst begonnen. Auf der Panskastraße liegen in langen Reihen die Toten aus den Kellern, ein furchtbarer Anblick. Die Straßen mit ihren niedrigen Häusern sind voller Menschen, vor allem Ukrainer, sie schreien voller Hass und Entsetzen. Sie schreien nach Rache. Die Juden sind schuld, rufen sie, schlagt sie alle tot! Eine hysterische Menge attackiert nun die Juden.
Beitz, der junge Ölmanager, wird bei einer Fahrt durch die Stadt am Rande Zeuge des Geschehens. Er ist fassungslos: »Die Juden mussten die Leichen waschen, und schon dabei haben Ukrainer viele Juden erschlagen, als ob diese etwas für die Morde des sowjetischen Geheimdienstes gekonnt hätten.« Es ist für ihn »ein ungeheurer Schock«. Besonders erschreckt ihn, dass die Wehrmacht und die SS dem Morden nicht Einhalt gebieten. Die Soldaten stehen dabei und schauen zu, manche feixen, andere machen Fotos; einige von ihnen mischen sich sogar unter die Ukrainer und hetzen Juden durch die Straßen von Boryslaw.
Der 13-jährige Janek Bander sieht vom Fenster aus Menschen mit Sensen, Hacken und Beilen durch die Gassen rennen, einen mörderischen Mob wie bei einem Pogrom des 17. Jahrhunderts. Neben Janek steht ein deutscher Soldat mit schussbereitem Gewehr, ein unwahrscheinlicher, aber sehr wachsamer Beschützer. Den Mann hat jener hohe Offizier zum Schutz der Banders abgestellt, der sich bei ihnen einquartiert hat, in einem der wenigen ansehnlichen Gebäude der Stadt, einem gelben Holzhaus mit einem Garten, den drei markante Bäume zieren. »Sie bleiben hier«, hat er zu dem Soldaten gesagt, »und erschießen jeden wie ein Schwein, der hier eindringen will.« Die Welt ist schwer zu verstehen für einen 13-Jährigen.
Am Vorabend hat Janek gelauscht, als der Offizier nach dem Essen mit Oskar Bander, dem Vater, diskutierte. »Herr Bander, sagen Sie selbst«, hat der Deutsche gefragt, »was sollen wir mit all den Juden tun?« Worauf der Vater erregt antwortete: »Geben Sie uns Arbeit! Oder wollen Sie uns alle erschießen?«
Bei dem Offizier handelt es sich möglicherweise um den ersten Ortskommandanten von Drohobycz, den auch für Boryslaw zuständigen Major Tautenhahn. Der jedenfalls gebietet dem Pogrom schließlich Einhalt und untersagt weitere Ausschreitungen bei Strafe. Da ist das Morden aber schon drei Tage weitergegangen. Am 4. Juli 1941 begraben die Juden von Boryslaw auf dem Friedhof ihre Toten, 183 Angehörige und Freunde. Die Überlebenden mögen hoffen, dass sie das Schlimmste überstanden haben, und das ist es auch, was Beitz denkt: Das Ganze war ein Exzess, hauptsächlich von Ukrainern verübt, der sich nicht wiederholen wird, sobald die Ordnung einmal wiederhergestellt ist. Aber die Bilder der Erschlagenen wird er nicht mehr vergessen. Seine Welt hat begonnen, sich zu verändern.
DER MANAGER UND DIE MÖRDER
Beitz ist, mit seinen 27 Jahren, verantwortlich für
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