Berthold Beitz (German Edition)
hinaus von Bedeutung: Das deutsche Stahlgeschäft ist damit langfristig gesichert, der neue Konzern einer der Riesen in Europa und der Welt.
DIE »SCHÜTZENDE HAND«
Ebendieser neue Konzern ThyssenKrupp erweist sich nach den ersten mageren Jahren als Erfolgsgeschichte. Es geht – erst allmählich und dann rasch – aufwärts. Im erfolgreichen Geschäftsjahr 2005/06 beläuft sich der Umsatz auf 47,125 Milliarden Euro, das Ergebnis vor Steuern auf 2,623 Milliarden. Bemerkenswert ist die Entschuldung des Konzerns, denn vor allem bei Krupp hat es ja stets das Problem gegeben, dass nicht genug Kapital vorhanden war.
Ist das fusionierte Unternehmen wirklich groß genug, um seinerseits dem Übernahmeversuch eines Global Player widerstehen zu können? Das bleibt eine Sorge, die Beitz beschäftigt. Nach den Fusionen mit Hoesch und dann mit Thyssen hält die einst alles beherrschende Krupp-Stiftung zunächst nur noch 18 Prozent der Aktienanteile – viel im Vergleich zu anderen, zu wenig, um im Ernstfall zu zeigen, wer Herr in dem Hause ist, das ihm Alfried Krupp 1967 zu treuen Händen übergeben hat. Daher nimmt die Stiftung 2006 viel Geld auf und erhöht ihre Anteile durch Aktienkäufe auf 25,33 Prozent. Der iranische Anteil ist, auf Druck der Bush-Administration in Washington, bis 2005 auf unter fünf Prozent gesunken. Die Stiftung hält heute, als Riese unter mehr als 250 000 Aktionären, jenen Anteil, der als Sperrminorität völlig ausreicht. Zudem kann sie drei Mitglieder in den Aufsichtsrat des Konzerns entsenden, ohne dass sie sich in der Hauptversammlung zur Wahl stellen müssen. Theoretisch könnte ja ein Großinvestor das Gros der Aktien erwerben, die der Stiftung nicht gehören – immerhin fast drei Viertel. Das macht aber nur begrenzt Sinn ohne Kontrolle des Vorstands, der wiederum ohne den Aufsichtsrat nicht neu besetzbar ist. Im 20-köpfigen Aufsichtsrat sitzen je zehn Vertreter der Arbeitnehmer- und der Anteilseignerseite. Der Vorsitzende, in diesem Fall Cromme für die Anteilseigner, hat im Fall einer Stimmgleichheit eine Doppelstimme.
Die Mitglieder aus der Belegschaft sind meist gegen Übernahmen – sie fürchten soziale Einschnitte und den Verlust von Arbeitsplätzen. Also muss sich ein potenzieller Angreifer, wie man in der Wirtschaft gern sagt, an die andere Seite halten. Kauft er die große Mehrheit der Aktien, wird er auf der Hauptversammlung der Aktionäre Männer, inzwischen gelegentlich auch Frauen, seiner Wahl in den Aufsichtsrat und an dessen Spitze wählen lassen. So ließe sich, selbst wenn alle Arbeitnehmervertreter wie Pech und Schwefel zusammenhalten, eine Mehrheit von 11:10 schaffen und ein genehmer Unternehmensvorstand einsetzen. Nur die Krupp-Stiftung kann diese klassisch machiavellistische Strategie durchkreuzen. Sie darf drei Mitglieder in den Aufsichtsrat entsenden, natürlich auf der Arbeitgeberseite. Da Beitz sein Berufsleben dem Wohle Krupps gewidmet hat, könnte er so klare Mehrheiten im Aufsichtsrat gegen eine Übernahme mobilisieren. Und natürlich, daran lässt er keinen Zweifel, würde er genau das tun. Er und die Stiftung seien eine Art Lebensversicherung für ThyssenKrupp, meint noch heute Ekkehard Schulz, seit Crommes Aufstieg in den Aufsichtsrat alleiniger Vorstandschef: »Das hat für das Unternehmen in einer Phase, als viele darum kämpften, nicht von einem der Großen übernommen zu werden, enorme Bedeutung gehabt – und wird es weiterhin haben.«
Gegenbeispiele gibt es genug: 2006 schluckt der größte Stahlproduzent der Welt, die britisch-indische Mittal Steel Company, trotz heftigen Widerstands den Konkurrenten Arcelor – auf dem Weg der feindlichen Übernahme und für 26 Milliarden Euro. Der indische Milliardär Lakshmi Mittal macht Schlagzeilen auch deswegen, weil er es zum drittreichsten Menschen der Welt gebracht hat und in London eine Villa für rekordverdächtige 102 Millionen Euro kauft. Im selben Jahr, 2006, erhöht Beitz, wie erwähnt, vorsorglich den Anteil der Stiftung an der eigenen Firma. Zuvor gab es schon Kontaktversuche von Mittal, wie Beitz berichtet: »Die waren schon bei Herrn Schulz und wollten mich sprechen. Ich habe ihm gesagt: Kommt überhaupt nicht in Frage, hier wird nicht verkauft. Ich habe überhaupt keine Veranlassung, mit ihm zu reden.« – »Bei Herrn Mittal gab es ganz ernsthafte Überlegungen, und auch bei den Russen«, bestätigt auch Cromme. »Vieles an ThyssenKrupp ist verlockend: die Firma, der große Name, die
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