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Berthold Beitz (German Edition)

Berthold Beitz (German Edition)

Titel: Berthold Beitz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Käppner
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Technologie.«
    Man trifft nicht häufig Betriebsräte, die vom Großaktionär ihres Unternehmens schwärmen. Aber im ersten Stock des Dreischeiben-Hochhauses in Düsseldorf, tief unter der Chefetage und auf Augenhöhe mit einem hässlichen Gewirr von Hochstraßen, sitzt Anfang Januar 2007, gleich nach Dreikönig, Thomas Schlenz, der Vorsitzende des Konzernbetriebsrats von ThyssenKrupp, und schreibt einen Brief an Berthold Beitz, nachdem der den Aktienanteil der Stiftung ausgebaut hat: »Das ist, so meine ich, ein ganz wichtiger Schritt, um unseren Konzern vor Leuten zu schützen, die Ziele verfolgen, die unserem gewachsenen Verständnis eines nachhaltig erfolgreichen Industriekonzerns widersprechen.« Die Industriepolitik, so wie Beitz sie verstehe, schätze er, Schlenz, sehr – »und sie steht auch nicht im Widerspruch zu der Einstellung der Belegschaft und der Arbeitnehmervertreter«. Schlenz, dessen Vorgänger bei Thyssen noch zehn Jahre zuvor »Immer drauf auf die Schweine« skandiert hat, dankt nun dem Hauptanteilseigner Berthold Beitz – »für Ihr Wirken und Handeln, für Ihre schützende Hand über ThyssenKrupp«. Beitz freut sich sehr darüber.
    Schlenz hat den Brief nicht bloß geschrieben, um schön Wetter zu machen. Er hat den Wandel des Ruhrgebiets in der eigenen Familie erlebt, oberschlesische Flüchtlinge, die es nach Duisburg verschlug. Der Vater arbeitete in der Stahlindustrie bei Phoenix Rheinrohr, und die Mutter wischte jeden Morgen, wenn sie die Fenster öffnete, Ruß und Staub von der Fensterbank. Der Himmel über der Ruhr ist inzwischen wieder sauber, aber auch die Montanwelt hat sich seitdem sehr gewandelt. Schlenz vermisst gewiss nicht den Dreck der Schlote, aber doch die Sicherheit und das Gefühl das Zugehörigkeit, das die alte Welt der Ruhrindustrie ihren Menschen noch gegeben hat. Und er schätzt Beitz dafür, dass er diese Sicherheit weiterhin vermittelt.
    Beitz selbst bleibt im Jahrzehnt nach der Fusion im Konzern so präsent wie früher bei Krupp. Er kommt jeden Tag zur Arbeit in die Stiftung, und er nimmt regelmäßig an Aufsichtsratssitzungen teil, was für einen Ehrenvorsitzenden – und das ist er ja seit seinem Abschied als Leiter des Kontrollgremiums 1989 – eher ungewöhnlich ist. Immer wieder einmal melden sich Wirtschaftsjuristen zu Wort, welche die Paragraphen des Aktienrechts studieren wie die Priester des Orakels von Delphi die Eingeweide der Opferstiere und mit ähnlich sybillinischem Ergebnis. Möglicherweise, heißt es dann, sei die dauerhafte Teilnahme von Personen mit Ehrentiteln am wichtigsten Aufsichtsgremium gar nicht zulässig, oder sie sei doch zulässig, aber nur manchmal. Daher hat Cromme eigens ein Rechtsgutachten des ThyssenKrupp-Beraters Ralph Wollburg in der Hinterhand, das ihm und dem Aufsichtsrat bestätigt, Beitz’ Teilnahme sei »vom Selbstorganisationsrecht des Aufsichtsrats gedeckt« und daher rechtens. Vorstandschef Schulz interpretiert das Interesse des Ehrenvorsitzenden am laufenden Geschäft wohlwollend: »Er ergreift nicht das Wort, er zeigt seine Verbundenheit mit dem Unternehmen, und das halte ich für ganz wichtig.«
    Das stimmt und ist doch nur die eine Seite der Medaille. Beitz bleibt auf diese Weise persönlich am wichtigsten Geschehen beteiligt, und er demonstriert die Bedeutung des Eigentümers. So manchem ist schon unbehaglich geworden, wenn der stoische Gast ihn mit einem Ausdruck des Missfallens gemustert hat. Im Übrigen verfügt Beitz über die Mittel, dieses Unbehagen sehr deutlich werden zu lassen. Einmal, im Jahr 2006, es geht um die von ihm missbilligten horrenden Kosten eines neuen Stahlwerks in Brasilien, steht er einfach auf und verlässt den Raum, sichtlich ergrimmt. Da weiß jeder der Aufsichtsräte: Der Patriarch ist nicht amüsiert. Das Vorhaben ist ihm zu riskant, und nur mühsam lässt er sich am Ende doch überzeugen. Die weitere Entwicklung gibt ihm freilich wieder einmal recht; er hat »dieses enorme Bauchgefühl«, wie ThyssenKrupp-Kommunikationschef Jürgen Claassen sagt: Das fragliche Stahlwerk sprengt nämlich alle Kosten.
    Die Ereignisse im Jahr 2009 sorgen schließlich dafür, dass Beitz’ Unbehagen größer ist denn je seit der Fusion.
    IM HAUSE DES PATRIARCHEN:
DIE »ESSENER ERKLÄRUNG«
    Als zum ersten Mal das Wort vom »Herrn Professor aus dem Vorstand« fällt, weiß Ekkehard Schulz: Die heile Welt von ThyssenKrupp ist erheblich ins Wanken geraten. »Ich war ja früher bei meinen Stahlleuten in

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