Berthold Beitz (German Edition)
Duisburg der liebe Ekki – aber jetzt: dieser Herr Professor.« Seine frühere Uni in Clausthal hat ihn 1999 zum Honorarprofessor ernannt, ein Ehrentitel, mehr nicht. Jetzt aber fühlt sich Schulz daran erinnert, wie SPD -Bundeskanzler Gerhard Schröder 2005 einen eigentlich aussichtslosen Wahlkampf fast noch zu seinen Gunsten gewendet hätte, indem er sich auf »diesen Professor aus Heidelberg« aus Angela Merkels Schattenkabinett einschoss, den ehemaligen Verfassungsrichter Paul Kirchhof, den er als weltfremden Prediger sozialer Kälte hinstellte. Und der Kälte wird nun auch Schulz bezichtigt, von seinen Arbeitnehmern. Später wird er sagen: »Das ist für mich auch eine persönliche Enttäuschung gewesen.«
Die Enttäuschung beruht durchaus auf Gegenseitigkeit. Die Arbeitnehmer sind wütend auf den Vorstand, den Aufsichtsrat, »die da oben«. Die globale Finanzkrise hat auch ThyssenKrupp mit voller Wucht getroffen; im Geschäftsjahr 2008/2009 wird ThyssenKrupp einen Rekordverlust von 2,364 Milliarden Euro vor Steuern schreiben, und die im Frühjahr 2009 eilig entworfene neue, schlankere Konzernstruktur soll Kosten sparen. Der ungeliebte Stahlchef Karl-Ulrich Köhler, der für das von Beitz wenig geschätzte Werk in Brasilien verantwortlich zeichnet und in Duisburg von seinen Arbeitern wütend ausgepfiffen wird, muss den Hut nehmen. An nur einem Tag im April 2009 demonstrieren 15 000 Arbeiter; vor dem Werk in Bochum versammelt sich eine Mahnwache von 3000 Menschen, in Duisburg fährt ein hupender Autokorso durch die Straßen der Stahlstadt und weckt Erinnerungen an konfliktreiche Tage zwei Jahrzehnte zuvor. Und wie damals rufen die Beschäftigten nun: »Wortbruch!«
Auslöser der Proteste ist, dass Vorstandschef Schulz betriebsbedingte Kündigungen nicht mehr ausgeschlossen hat, da die Auftragslage drastisch eingebrochen ist. Niemals, so Schulz nach einer dramatischen Aufsichtsratssitzung am 27. März 2009, sei vereinbart worden, dass Kündigungen grundsätzlich nicht in Frage kämen. Das sehen Männer wie der Betriebsratschef Schlenz völlig anders, aber auch dieser betrachtet die Eskalation mit Sorge: »Wir kamen recht schnell in eine Lage, als ob man mit 150 Sachen in die Garage rast!«
Dabei war nach der Eruption der Massenproteste gegen Crommes Übernahmeversuch von 1997 erst eine fragile, dann aber immer verlässlichere Ruhe im nun vereinigten Konzern eingekehrt. Vorstand und Betriebsrat finden die wärmsten Worte füreinander und sind stolz auf das harmonische Klima, das für einen Großkonzern mit mehr als 200 000 Arbeitsplätzen in der Tat nicht selbstverständlich ist. Im schönsten Neudeutsch bezeichnet der Betriebsrat seine Haltung als »comanagement-orientiert«, man ist stolz auf das Erreichte und die starke Position der Arbeitnehmer. Beitz gilt ihnen dabei als Symbol einer in den Jahren ökonomischer Gier anderswo vergessenen oder belächelten Sozialpartnerschaft. »Er hat Anstand und Moral und behandelt uns auf gleicher Augenhöhe«, sagt Schlenz. »Die Gewerkschaften fühlen sich durch ihn als Gleichwertige behandelt, als Partner, die ja auch nur legitime Interessen vertreten. Das sind Dinge, die in der globalisierten Wirtschaft leider immer mehr verloren gehen.« In der Tat ist es erstaunlich: In dem Konzern, der ja immerhin drei Traditionsunternehmen vereint, beginnt sich eine corporate identity zu entwickeln, die Züge des alten Krupp’schen Wir-Gefühls trägt.
All das aber scheint im April 2009 vorüber zu sein, eine Reminiszenz der fetten Jahre. In dieser Lage klingelt im Betriebsratsbüro das Telefon. Es ist Berthold Beitz: »Herr Schlenz, ich mache mir große Sorgen um die Firma. Lassen Sie uns mal miteinander reden.« Schlenz schildert die verfahrene Lage, es fällt ihm selbst auf, dass er in dieser Zeit erstmals von »Fronten« spricht, ein Wort, das seiner Meinung nach eigentlich nicht in diesen Konzern passt. Beitz beendet das Gespräch in dem kumpelhaften Frotzelton, den er manchmal pflegt, durchaus zur Freude seiner Gesprächspartner: »Schlenz, komm doch hier mal vorbei – und bring den Bertin Eichler mit.«
Schon anderntags fahren Schlenz und Eichler, der Finanzvorstand der IG Metall und ein weiterer Gewerkschafter, dem Beitz vertraut, auf den Hügel. Beitz bietet ihnen an, sich einzumischen – im Interesse aller. Es ist eine freundliche Seelenmassage: »Die Firma besteht ja nicht allein aus den Industrieanlagen, sondern vor allem aus den Menschen, die dort arbeiten. Und
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