Berthold Beitz (German Edition)
den Müttern und erschießen sie beim Schlachthof. Betäubt und apathisch bleibt Mina Horowitz zurück, als jemand ruft: »Beitz ist gekommen!« Sie hört ihren Namen und blickt auf. Vor ihr stehen Berthold Beitz und der gefürchtete Wüpper von der Schutzpolizei. Wieder muss Beitz um jedes Leben ringen, und es gelingt ihm tatsächlich, eine Reihe von echten und angeblichen Mitarbeiterinnen herauszuholen. Mina Horowitz aber hat einen neunjährigen Jungen, der neben ihr stand, an sich gezogen: »Blitzartig durchzuckte mich der Gedanke, ich könnte vielleicht ein anderes jüdisches Kind anstelle meines eigenen retten.« Beitz fragt sie: »Ist das wirklich Ihr Kind?« Sie sagt fest: »Ja.« Er sieht sie an und führt beide mit aus dem Kinosaal. Mina Horowitz und den Jungen, Dunio Schapiro, nimmt er anschließend mit in sein Büro, damit der Kleine wirklich in Sicherheit ist. Beitz hat, wie er ihr sagt, gewusst, dass es nicht ihr Kind ist. Sie war Mutter eines zweijährigen Mädchens. »Am selben Tag abends«, wird Horowitz dreißig Jahre später schreiben, »übergab ich ihn [den Jungen; J. K.] seinem Vater. Das Kind kam leider in einer der nächsten Aktionen um. Mit meiner Tat hatte ich offenbar die Aufmerksamkeit von Herrn Beitz erregt, denn während seiner Anwesenheit im Büro sagte er meinem Mann, er solle ihn benachrichtigen, wann auch immer ich in Gefahr sei. Dann würde er sich bemühen, mir zu helfen. Und tatsächlich sortierte er mich gleichzeitig mit anderen, an deren Namen ich mich nicht mehr erinnere, dreimal seit dieser Zeit aus der Sammelstelle aus.«
Am Tag des Massakers vom Schlachthof kommt Berthold Beitz wieder ins Büro und setzt sich zu Hilde Berger, kalkweiß, das Gesicht tief zerfurcht. Er sagt zu ihr: »Eines Tages wird das deutsche Volk für seine Verbrechen büßen müssen.« Er hat an diesem Tag, dem 15. Februar 1943, weit mehr als fünfzig Juden das Leben gerettet – für diesen Tag. Ihr Leben wird weiter in höchster Gefahr sein, und viele von ihnen überleben den Krieg dennoch nicht. Die Zahl der Opfer des Schlachthofmassakers liegt bei mehreren Hundert.
Zu Beginn des Jahres 1943 hat die SS bereits mehr als 6000 Boryslawer Juden in die Vernichtungslager deportiert oder erschossen. Nach dem Februarmassaker löst die SS das Ghetto auf, viele Juden werden in die Vernichtungslager deportiert, etwa 1000 weitere am Boryslawer Schlachthof erschossen. Schupo-Chef Wüpper tötet dabei zahlreiche Menschen persönlich, er ist betrunken und scheint das Morden zu genießen. So ist die Maschinerie des Todes, »die Bestie«, wie sie der Schriftsteller Elie Wiesel nennt: Sie sucht ihre Opfer und will keinen übrig lassen. Die jüdischen Viertel von Boryslaw sind schließlich menschenleer.
Die restlichen Juden in der Stadt sind entweder im Zwangsarbeiterlager für jüdische Rüstungsarbeiter, einer alten Reiterkaserne, notdürftig geschützt oder harren in Verstecken aus. Anfangs untersteht es noch der Karpathen-Öl selbst, dann, im Oktober 1942, übernimmt die SS die Bewachung und zäunt das Lager ein. Das ist die Folge eines Befehls von SS -Reichsführer Himmler selbst, der den Rüstungsarbeitern paradoxerweise eine Atempause verschafft. An ihn hatte sich der Generaldirektor der Karpathen-Öl in Lemberg, Carl Krauch, gewandt: Die wahllosen Deportationen von Juden, unter ihnen auch zahlreiche Träger von »R«-Abzeichen, gefährdeten die für die Fronten so wichtige Ölproduktion – dasselbe Argument, das auch Beitz in der Boryslawer Betriebsinspektion immer wieder bemüht. Krauch freilich geht esnicht um die Menschen, ihm geht es darum, dass sein Betrieb läuft. Als Folge befiehlt Himmler, die jüdischen Rüstungsarbeiter in bewachten Zwangsarbeiterlagern – Drohobycz und Boryslaw– zu konzentrieren, aber vorerst zu verschonen. Beitz’ Arbeiter hausen also dort mit ihren Familien. Im Juli 1943, nach dem jüdischen Aufstand im Warschauer Ghetto, ändert der Reichsführer SS seine Meinung wieder und befiehlt, in naher Zukunft alle Juden aus Rüstungsbetrieben im Generalgouvernement zu entfernen.
Berthold Beitz stellt 1943 immer mehr Menschen als angeblich unabkömmliche Rüstungsarbeiter bei der Karpathen-Öl ein, die es in Wahrheit gar nicht sind. Im Juni 1943 hat die SS die Ghettos, auch die von Drohobycz und Boryslaw, endgültig »liquidiert«. Es bleiben die Juden in den Zwangsarbeiterlagern, die nach Himmlers Kehrtwende die nächsten Opfer sind. In den folgenden Monaten, als die meisten dieser
Weitere Kostenlose Bücher