Berthold Beitz (German Edition)
eigentümliches Lächeln zur Schau, wenn sie den Bürotrakt des kaufmännischen Direktors betritt und sich umsieht: »Frau N. aus Oberschlesien, Ehemann an der Front, 2 Kinder (nette Mädchen) bei Verwandten, war eine geübte Spitzlerin, eine Intrigantin erster Klasse.« Eines Abends erwischt sie Evelyn Döring und Beitz’ polnisch-jüdischen Büroleiter EmilPeter Ehrlich in Beitz’ Büro, er gibt ihr heimlich Polnischunterricht. N. starrt Ehrlich an: Ein Jude darf sich nach Büroschluss hier nicht aufhalten. »Sie arbeiten noch?«, fragt sie lauernd, und mit gespieltem Gleichmut antwortet Fräulein Döring: »Sie sehen es ja.« Aber nur einen Tag später hört Radecke, wie sie in derWerkskantine ein paar Sätze auf Polnisch ausprobiert; und er ruft über alle Köpfe hinweg: »Ihr Polnisch hat einen ziemlich jüdischen Beiklang!« Es bahnt sich etwas an, da ist sich Evelyn Döring sicher.
Schließlich, Ende 1942, bekommt Berthold Beitz eine Vorladung von der Gestapo in Breslau, der für Galizien zuständigen Leitstelle der Geheimpolizei. Er hat längst genug gesehen, um eines zu wissen: Dies kann eine Reise ohne Wiederkehr sein. Voll dunkler Gedanken nimmt er in einem Verhörzimmer Platz, als ein Gestapomann eintritt und zum Erstaunen des unfreiwilligen Gastes sagt: »Bobby, was machst du denn hier? Bist du verrückt?« Es ist Karl-Heinz Bendt, der alte Jugendfreund aus Greifswald. Nun könnte Beitz den anderen aus sehr guten Gründen dasselbe fragen, lässt es aber klugerweise bleiben. Bendt hat bei der Gestapo angefangen, nachdem er im Theologiestudium gescheitert und durchs Examen gefallen ist. Er ist am Morgen von einem Kollegen angesprochen worden: »Wir haben hier einen aus Greifswald. Kommst du nicht daher?« Bendt sah den Namen und hat sofort zu den Kollegen gesagt: »Den übernehme ich.«
Ob er eigentlich wisse, warum er hier sei?, fragt Bendt. Er zeigt Berthold Beitz ein Blatt kariertes Schreibpapier, auf dem steht: »Der Feldwebel der Reserve Beitz begünstigt Juden.« Zu den Unterzeichnern gehören Volksdeutsche aus Boryslaw und Deutsche aus dem Reich, aus dem Kreise seiner Nachbarn, Bekannten, Geschäftspartner, die Sekretärin Radeckes. Sie bezichtigen Beitz, »pro-polnisch eingestellt zu sein und Juden bei der Flucht geholfen zu haben«, und verlangen seine »sofortige Entfernung bzw. Inhaftierung«. Sie haben ihn denunziert und angezeigt. Er ist ein einsamer Mann unter »seinen« Deutschen, die es ganz offenkundig für ein todeswürdiges Verbrechen halten, den Verfolgten zu helfen.
Und Bendt? Der zerknüllt den Papierbogen und wirft ihn in den Ofen, verwarnt den Beschuldigten der Form halber und lässt ihn drei Tage in einer Zelle sitzen. Dann darf Beitz gehen, unbeschadet. Als er nach Boryslaw zurückkommt, weiß er besser als vorher, wer seine Feinde sind. Die aber können sich keinen Reim darauf machen, dass er mit heiler Haut und ohne erkennbare Zeichen von Demut und Furcht aus den Fängen der Geheimen Staatspolizei zurückgekehrt ist. Gerüchte breiten sich aus, der Direktor Beitz habe die allerbesten Beziehungen »nach ganz oben«, vielleicht zu SS -Reichsführer Himmler selbst. Immerhin hat der das Ölgebiet ja der Karpathen-Öl zugeordnet und für eine Weile die Schonung jüdischer Rüstungsarbeiter gestattet. Beitz’ Nimbus wächst erheblich, bei den Opfern wie bei den Tätern. Das wird ihm helfen, denn die härtesten Herausforderungen stehen noch bevor.
Berthold Beitz hat da bereits mehrfach mutig und entschlossen gehandelt, aber bei der Gestapo hätten ihm Mut und Entschlossenheit wohl nichts genutzt. Er hat in diesem Moment höchster Gefahr unfassbares Glück: Er trifft den richtigen Mann zur richtigen Zeit. »Nur deshalb lebe ich wahrscheinlich noch. Die hätten mich ins Konzentrationslager verschleppt«, sagt er heute.
Er hat es Bendt niemals vergessen. Was immer der während des Krieges noch getan haben mochte, Beitz wird sich später, in der Nachkriegszeit, revanchieren, als der Jugendfreund tief gefallen ist. Er verschafft ihm einen Job bei Krupp. Jahrzehnte später lädt er ihn sogar zu einem Empfang in die Villa Hügel ein. Als er Bendt in der Menge entdeckt, macht er ihn mit den Umstehenden bekannt. Die Gäste sind, wie man sich vorstellen kann, nicht wenig irritiert, aber Beitz sagt: »Ohne ihn stünde ich nicht hier.«
»HÄTTE ICH NOCH MEHR TUN KÖNNEN?«
SCHWINDENDE SPIELRÄUME
Für jene, die auf Berthold Beitz hoffen, ist der so unangreifbar wirkende Direktor wie
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