Berthold Beitz (German Edition)
eine Erscheinung aus einer anderen Welt: Eine jüdische Bürogehilfin, als angebliche Rüstungsarbeiterin von Beitz eingestellt, sagt ihrer Freundin Sabina Haberman, heute Wolanski, einmal, er sei der am besten aussehende Mann, den sie sich vorstellen könne. Die Mädchen sagen, der Direktor sehe aus »wie eine deutsche Ausgabe des Schauspielers Robert Taylor«; und er ist derjenige, wie Wolanski 2010 bei einem Besuch in Essen sagt, »der mir damals in Boryslaw den Glauben an die Menschheit bewahrt hat«. Ein Mädchen wird nach dem Krieg sogar schreiben: »Er war wie Gott persönlich!«
Diese Verehrung ist natürlich auch Ausdruck all der verzweifelten Hoffnungen, die sich auf ihn projizieren, den einzigen Deutschen von Rang und Einfluss in Boryslaw, der den Juden hilft. Und doch sind seine Spielräume begrenzter, als es sich viele Verfolgte vorstellen können. Es ist ein Widerspruch, der sich nicht auflösen lässt. »Ich habe nie das Gefühl gehabt, Herr über Leben und Tod zu sein«, sagt er im Rückblick. »Ich war nicht der liebe Gott.«
In Boryslaw ist der dünne Firnis der Zivilisation zerbrochen. »Alle Beteiligten verhielten sich so, als sei es ganz normal, am helllichten Tag in einer kleinen Stadt eine Jüdin zu erschießen, während ihr kleines Kind neben ihr stand.« Das Opfer ist in diesem Fall eine junge Frau mit gebrochenem Arm, deren Mann Öl-Bohrmeister bei Beitz ist.
Aber an den SS -Offizieren führt kein Weg vorbei, wenn er den Verfolgten helfen will. Er kann nicht offen rebellieren – wie auch? –, denn die Macht dazu hat er nicht. Es würde seinen Feinden und Neidern nur den Anlass geben, ihn verhaften zu lassen. Und wie sehr viele von ihnen diese Gelegenheit herbeisehnen, zeigt die erwähnte Denunziation bei der Gestapo Ende 1942.
Nicht immer fällt es ihm leicht, seine Gefühle zu unterdrücken. »Manchmal hatte ich Hass auf diese Leute.« Etwa auf jenen volksdeutschen Werksangehörigen, der nach einer Razzia in der Kantine Messer und Peitsche am Gürtel trägt und mit seinen Taten prahlt. »Den«, so Beitz im Rückblick, »hätte ich umbringen können.«
Einmal kommt ein junger SS -Mann aus dem berüchtigten Reiterzug der deutschen Polizei ins Werk und besucht seine Freundin. Er sieht einen jüdischen Angestellten, der keine Armbinde mit gelbem Stern trägt – was Beitz erlaubt hat –, und brüllt den Mann an, das nächste Mal werde er auf der Stelle erschossen. Jozef Hirsch, vom Direktor engagierter jüdischer Verwaltungsangestellter der Firma, schildert dessen Reaktion: »Am nächsten Tag war Herr Beitz pünktlich zur Stelle, als der SS -Mann wiederkam. Demonstrativ übersah er die Hand, die dieser ihm zur Begrüßung entgegenstreckte. Dann forderte er ihn auf, sofort zu verschwinden, da er in seinem Büro nichts zu suchen habe. Der SS -Mann kam nie wieder.«
Das ist das Äußerste an Protest, das Beitz sich erlauben darf, und allein das schon ist alles andere als ungefährlich. Er unterliegt vielen Zwängen. Je mehr die Judenverfolgung fortschreitet, je mehr Menschen deportiert werden, je weniger überhaupt noch arbeiten dürfen, je schärfer die Kontrollen werden, desto geringer werden diese Spielräume. Im Übrigen ist er ja nicht Herr über die Karpathen-Öl, sondern bloß ihr leitender Angestellter in Boryslaw.
Manchmal fühlt er hilflosen Zorn. Bei der erwähnten Mordtat, als ein Wiener Schutzpolizist im Februar 1943 vor seinen Augen eine junge Mutter erschießt, herrscht er den Mann an: »Was machen Sie denn da, das ist ja schlimm, was Sie da machen!« Was soll’s, die habe doch eh nicht mehr arbeiten können, entgegnet der Schütze im boshaftesten Wiener Schmäh, und als Beitz Anstalten macht, das entsetzte Kind an sich zu ziehen, sagt der Todesschütze: »Das Kind bleibt hier.« Was soll Beitz tun? Er kann nicht Gewalt anwenden, an niemanden appellieren, keiner würde ihm helfen. Er sagt: »Ach Mensch, drehen Sie sich doch mal um. Kommen Sie morgen mal zu mir …« Und wirklich, der Mörder lässt das Kind gehen. Anderntags kommt der Mann tatsächlich. Beitz schenkt ihm eine lederne Aktentasche.
Das Schicksal der jüdischen Kinder gehört zu den grauenhaftesten Eindrücken des Ehepaars Beitz in Boryslaw. Im August 1942 sieht er die verstörten kleinen Geschöpfe aus dem Waisenhaus, wie sie im kalten Licht einer Bahnhofslampe vor den SS -Männern kauern. Kinder zu beschützen ist aber auch für Beitz äußerst schwierig – ihnen kann er kein rettendes »R« ausstellen,
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