Berthold Beitz (German Edition)
Lager im Generalgouvernement schon geräumt sind oder kurz vor der Auflösung stehen, bleibt jenes in Boryslaw dank Beitz’ hartnäckigen Kampfes eine rettende Insel. Doch die Bedrohung wächst auch hier enorm. Beitz ist jetzt isolierter denn je, und seine Schutzbefohlenen sind beileibe nicht alle qualifizierte Fachkräfte. Der Überlebende Edmund Novak erinnert sich später: »Aus der Liste der eingestellten und im Lager befindlichen Juden ergibt sich, daß dort viele Schneider, Schuster, Frisöre, Hausfrauen, Näherinnen, Wäscherinnen, Jugendliche ohne Beruf, Kaufleute und andere eingestellt waren, die keine Ahnung von den Grundlagen der Arbeit in der Erdölindustrie hatten.« Der Boryslawer Jude Emil Wiksel, den Beitz in Sicherheit bringt, nachdem ein Schutzpolizist dem 44-jährigen Mann elf Zähne ausgeschlagen hat, schreibt später, »daß ich auf meiner Arbeitsstelle keineswegs unersetzbar war«.
Beitz muss also stets größte Vorsicht walten lassen. Ein falscher Zug, und die Gestapo hätte jenen Anlass, auf den seine Feinde schon so lange warten. Seine Rückkehr aus Breslau hat sie überrumpelt, sie sind vorsichtiger geworden; doch schon Anfang 1943 unternehmen sie einen neuen Versuch. Zwei Gestapobeamte erscheinen in seinem Büro bei der Karpathen-Öl: Jetzt sei es so weit, er komme in ein Konzentrationslager oder ein Strafbataillon. Er muss sie nach Drohobycz begleiten, denn er wird als Fluchthelfer verdächtigt. Die SS hat zwei jüdische Mädchen geschnappt, die gefälschte »arische« Arbeitsnachweise der Karpathen-Öl Boryslaw bei sich hatten; die Dokumente tragen die Unterschrift »Beitz«. Doch der weiß von nichts.
Der jüdische Untergrund im Arbeitslager versucht, Menschen aus Boryslaw hinauszuschmuggeln – unter anderem mit Hilfe manipulierter Dokumente. Beitz weiß nicht, dass einige Mitglieder der Gruppe Nachschlüssel zu seinem Büro und seinem Panzerschrank besitzen. Die jungen Männer steigen nachts ein und benutzen Stempel und Vordrucke für ihre Fälschungen, um damit Leben zu retten. Nur ist mit einem Mal das Leben des Retters in Gefahr, was sie natürlich nicht im Sinn hatten. Zwi Heilig beschreibt das Dilemma der Gruppe: »Wir alle wußten, daß Beitz den Juden half, und wir waren sicher, daß die Gestapo dies auch wußte … Wir empfanden große Sympathie für Beitz, und wir wußten, daß, wenn er gehen würde, wir alle sterben würden. Deshalb beschlossen mein Bruder Mates und ich, ihm zu helfen.« Noch während die Gestapo Beitz in der Nachbarstadt vernimmt, steigen die beiden erneut in das Büro ein und hinterlassen die auffälligsten Spuren ihrer Tat. Damit ist der Direktor entlastet, der ja das perfekte Alibi hat: Er sitzt zum Verhör bei der Gestapo. So unterblieben, schreibt Bernd Schmalhausen, der diese Episode überliefert hat, »weitere Untersuchungen, bei denen die tiefe Verstrickung von Berthold Beitz in die Bemühungen um die Rettung jüdischer Menschen vermutlich entdeckt worden wäre«. Beitz selbst erscheint die Szene im Rückblick weniger bedrohlich als die erste Vorladung nach Breslau.
Dem Tode nah kommt der junge Direktor ein halbes Jahr später bei einem Waldspaziergang mit seiner Frau. Nur ist es diesmal nicht die Gestapo, die ihm nach dem Leben trachtet. Mehrere Schüsse fallen, die Schützen sind hinter Bäumen verborgen. Beitz, der oft eine Pistole trägt, schießt zurück, dann herrscht wieder Stille. Niemand ist getroffen worden. Es müssen polnische Untergrundkämpfer gewesen sein; ob sie ihn erkannt haben, ist unklar. Anderntags erzählt er Ehrlich davon. Der kommt vier Tage später zu ihm und sagt: »Herr Beitz, Sie können ohne Gefahr spazieren gehen. Niemand wird auf sie schießen.« Beitz beginnt zu ahnen, dass sein Mitarbeiter ein gut vernetzter Mann ist. »Aber dass er eine wichtige Rolle im Widerstand gegen die Deutschen gespielt hat, wusste ich nicht.« Weitere Anschläge auf Beitz gibt es nicht.
So setzt er sein Rettungswerk fort. Oft informiert ihn sein eigener Warndienst um die unermüdliche Evelyn Döring. So ist es im Fall von Salek Linhards Onkel, der für seinen Dienst in der deutschen Armee während des Ersten Weltkriegs das Eiserne Kreuz erhalten hat. Er ist Bäcker, und Salek erinnert sich bis heute an die besten Vanilleplätzchen von Boryslaw. Noch lange fühlt sich der Onkel sicher und bleibt in seinem Haus; offenbar genießt er eine Weile Protektion aus der Wehrmacht. Aber Linhard erinnert sich, wie Beitz seinen Vater Jitzhak gewarnt
Weitere Kostenlose Bücher