Berthold Beitz (German Edition)
höchstens für Halbwüchsige wie Jurek Rotenberg, der sich einfach drei Jahre älter gemacht hat. Beitz versteckt ein Kind in seinem Büro, bezahlt polnische Familien dafür, dass sie heimlich jüdische Kinder aufnehmen – so kann er eine Reihe von Kindern vor dem Tod bewahren.
Auch Else Beitz empfindet das Schicksal der Kinder als grauenvoll. Es bewegt sie, selbst Mutter einer Zweijährigen, zutiefst. Manchmal sitzen bereits am frühen Morgen Menschen auf den Stufen zu ihrem Haus und strecken die Arme aus: »›Meine Frau haben sie heute Nacht genommen!‹ – ›Mein Kind ist weg!‹ Oh, es war fürchterlich.« Es lässt sich wohl kaum eine größere Belastungsprobe für eine junge Ehe denken als die apokalyptischen Verhältnisse von Boryslaw. Doch die junge Frau, die übrigens ganz anders als ihr Mann nicht aus konservativem Elternhaus stammt – ihr Vater ist ja linker Sozialdemokrat –, steht stets an seiner Seite; und nach dieser Probe wird die Ehe nichts mehr auseinanderbringen. Else Beitz ist mit Barbara daheim, und immer öfter suchen die Verfolgten dort Hilfe. So einmal 1942, als zwei jüdische Männer vor der Tür stehen. Sie hat beide noch nie gesehen. »Was wünschen Sie, bitte?«, fragt sie, und die Männer bringen ihr Anliegen vor. Sie, die Frau des Direktors, möge bitte einen Jungen verstecken.
Frau Beitz zögert. Ihr Mann ist früh zur Arbeit gefahren, wenn sie nun ein Kind versteckt, kann sie sich und ihre Familie in tödliche Gefahr bringen. Aber sie sieht die Not in den Augen der Männer und hört ihnen zu. Das Kind sei blond und blauäugig, sagt einer, sie könne immer sagen, das ist der kleine Sohn von Verwandten. Und sie kann, sie will die beiden nicht wegschicken und das Kind dem Tod ausliefern. Schließlich erklärt sie sich einverstanden. Der Kleine wohnt für einige Zeit tagsüber bei ihnen, abends wird er wieder abgeholt. Er spielt mit Barbara und gewinnt Vertrauen zu der fremden Frau, die ihm ihr Haus geöffnet hat. Eines Tages bleibt er fort. Else Beitz weiß nicht, was aus ihm geworden ist. Aber sie muss das Schlimmste befürchten.
Es ist nicht der einzige Fall, wie sich Berthold Beitz erinnert: »Manchmal kamen auch abends Juden zu uns nach Hause, sie saßen vorn auf der Treppe und baten um Hilfe. Meine Frau hat die Kinder im Haus versteckt. Mit Kindern war es schwer, denn ich konnte die Leute ja nur rausholen, indem ich sie als unabkömmliche Arbeitskräfte ausgegeben habe … Das ging mit Kindern leider nicht. Aber einige haben wir im Haus verborgen. Wir konnten diese Hilfe nicht verweigern. Es war irgendwie selbstverständlich. Meine Frau hat das alles mitgemacht.« Die junge Frau zeigt einen bemerkenswerten Mut. Was sie am meisten fürchtet, sind die Patrouillen der Reiterpolizei. Die Streifen tauchen überraschend auf, sie sind auf der Suche nach Juden, die sich auf der Straße zeigen könnten. »Wenn die erschienen wären, als meine Frau gerade ein Kind ins Haus ließ, wäre sie ins Konzentrationslager gekommen«, sagt Beitz heute. 2008 wird auch Else Beitz als »Gerechte unter den Völkern« ausgezeichnet.
Im Februar 1943 hat die SS etwa 300 Juden aufgespürt, die sich ohne Erlaubnis in Arbeitstrupps eingeschmuggelt hatten. Die Sicherheitspolizei sperrt diese Menschen zwei Tage ins »Colosseum«-Kino und schafft sie dann zum Schlachthof, wo sie erschossen werden sollen. Unter ihnen ist die Frau eines Arbeiters der Karpathen-Öl, Lea Altbach. Als Beitz davon erfährt, rast er mit seinem Mercedes hinterher, überholt den Transport und versperrt mit seinem Wagen die Straße. Frau Altbach sei seine Sekretärin, behauptet er. Beweisen Sie das, fordern die SS -Leute. Beitz schwindelt ihnen vor, die Papiere seien noch in seinem Büro, und bleibt so hartnäckig, bis Lea Altbach in seinen Wagen steigen darf. Aber deren Schwester und kleine Kinder sind da bereits am Schlachthof erschossen worden. Kleine Kinder können nicht arbeiten – damit haben sie für die Nazis ihr Leben verwirkt.
Beitz versucht es dennoch. »Ich hatte doch selbst eine Frau und die kleine Barbara«, sagt er im Rückblick dazu, und am Abend sprechen Else Beitz und er oft über das Schicksal der Kinder. Nun fühlen sie nach, was Eltern empfinden, denen Söhne und Töchter entrissen werden. Unter den Opfern im »Colosseum« befindet sich die Familie eines jüdischen Buchhalters von Beitz, Mina Horowitz mit ihrer zweijährigen Tochter Rehle. Die Wächter entreißen die Kleinkinder gleich zu Beginn des Massakers
Weitere Kostenlose Bücher