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Berthold Beitz (German Edition)

Berthold Beitz (German Edition)

Titel: Berthold Beitz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Käppner
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Versicherungen in der britischen Zone aufzubauen, aber er findet niemanden, der ihm für dessen Leitung geeignet erscheint. Entweder sind die Bewerber vorbelastet, oder sie kommen fachlich nicht in Frage. Seine Sekretärin, eben Evelyn Döring, schlägt ihm schließlich einen Kandidaten vor: Berthold Beitz. Was sie über ihn berichten kann – als Menschen, als Gegner der Judenverfolgung und als Organisator –, ist in jeder Hinsicht eine Empfehlung. Für das Vorstellungsgespräch besorgt sich Beitz eigens einen besseren Anzug. Der Brite mustert den Bewerber wohlwollend und sagt: »Herr Beitz, wir suchen einen Mann für das Versicherungsaufsichtsamt!« Beitz bekennt freimütig, sein Bestes tun zu wollen; bedauerlicherweise aber sei ihm die Materie zur Gänze fremd. Dennoch bekommt er den Job sofort – die große Chance, aus der Armut des Notquartiers herauszukommen. Er bittet allerdings nicht um ein hohes Gehalt, sondern um etwas viel Wertvolleres in diesen Tagen überfüllter Behelfszüge: einen Dienstwagen.
    Natürlich haben sich die Briten die Vita des Bewerbers genau angesehen; großzügig bis gleichgültig in diesen Dingen werden sie erst einige Jahre später sein, nach Beginn des Kalten Kriegs um 1950. Noch aber herrscht eine rigide Entnazifizierung bei dem Versuch, die Eliten auszuwechseln. Nur wird sich leider bald zeigen, dass die erwünschten »Gegeneliten« aus Antifaschisten, Exilanten und Nazigegnern in der benötigten Zahl kaum vorhanden sind. Beitz erhält einen später mehrfach erneuerten Ausweis der Entnazifizierungsbehörden, in dem es heißt: »Berthold Beitz ist politisch unbelastet und wird daher nicht von den Bestimmungen des Gesetzes zur Bereinigung der Verwaltung und Wirtschaft von nationalsozialistischen Einflüssen betroffen.« 1947 bestätigen ihm 28 Überlebende aus Boryslaw in einer notariellen Erklärung, was er wenige Jahre zuvor für sie auf sich genommen hat:
    Wir bescheinigen nun, dass Herr Berthold Beitz sich uns gegenüber als Leuten sowohl polnischer wie auch jüdischer Volkszugehörigkeit, in seiner Stellung als Direktor des Unternehmens menschlich zeigte und uns seinerzeit trotz des wütenden Hitler-Terrors nachsichtig und menschlich behandelte. [Er] half seinen Arbeitern durch seinen Einfluss, soweit es ihm möglich war. Wir können auf das Entschiedenste und mit gutem Gewissen bestätigen, dass wir Berthold Beitz in guter Erinnerung behalten werden und dass er sich in der gesamten Zeit in Boryslaw als wahrer Mensch und wahrer Demokrat in des Wortes vollster Bedeutung verhielt.
    Seine einstigen Schutzbefohlenen, die ihn offenbar über seinen früheren Bäcker Leon Morski ausfindig gemacht haben, schreiben ihm nun oft. Etwa Hilde Berger, seine frühere Sekretärin: »Sie haben keine Ahnung, wie oft wir damals von Ihnen sprachen und Ihnen nachtrauerten.« Jan Jaworski: »Wir haben Sie in unseren Gedanken, wie Sie Brot umsonst für polnisches Waisenhaus gegeben (haben und) keine Beschäftigten in die Hände der Herren von Gestapo ausgeliefert (haben). Oder diese unglücklichen Bluttage, wo Sie aus Henkershänden unschuldige Frauen gerissen haben.« Oder Henryk Engelberg, ein jüdischer Ingenieur aus Boryslaw: »Sie werden es vielleicht gar nicht glauben, wie oft und mit welcher Dankbarkeit ich und meine Tochter Ihren Namen genannt haben, seit wir wieder als freie Menschen leben können. Wir haben und werden es nie vergessen, dass Sie aus eigener Initiative meine Tochter aus dem plombierten Wagen, dessen Ziel uns damals schon bekannt war, herausgeholt haben.« Beitz schreibt oft zurück, doch in Hamburg spricht er nicht über seine Jahre in Polen; und in den Zeitungsartikeln, die bald über ihn erscheinen, findet die Kriegszeit keinerlei Erwähnung. Tragischerweise wird Morski, wie Beitz entsetzt erfährt, vom stalinistischen Geheimdienst ermordet.
    Bei der Arbeit muss er schnell feststellen: Es gibt kaum Versicherungsfachleute in Hamburg. Wohl aber sind sie in Berlin zu finden: Dort hatte das Reichsaufsichtsamt für Versicherungen seinen Sitz. An Bord eines britischen Militärflugzeugs fliegt Beitz in die Trümmerstadt Berlin, die inzwischen von den vier Siegermächten gemeinsam regiert wird. Dort begegnet Beitz nun dem Problem, dass kaum einer der ehemaligen Mitarbeiter des Amtes bei der Entnazifizierung in der Gruppe 5 geführt wird, also zu den Unbelasteten wie Berthold Beitz selbst zählt. Die meisten sind in Gruppe 4 gelandet, gelten folglich als »Mitläufer«; das hat den

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