Berthold Beitz (German Edition)
und Gemüse.
Und da Beitz inzwischen einen Namen im Versicherungswesen hat, passt es ihm gut, dass 1948 eine neue Herausforderung lockt: Die Iduna-Germania-Versicherung sucht ein Vorstandsmitglied. Traditionell stark in Ost- und Mitteldeutschland engagiert, hat das Unternehmen 1945 das Gros seines Geschäfts eingebüßt und braucht einen Organisator, der es modernisiert und die auf Berlin und Hamburg verteilten Büros zusammenführt. Jetzt, da der Wiederaufbau im großen Stil anläuft, blüht auch das Versicherungsgeschäft. Und so verzichtet Beitz auf die Sicherheiten einer Beamtenstelle und sagt bei der Iduna-Germania zu. Er ist jetzt mitten in einer steilen Karriere, wie sie wohl nur die Wiederaufbau- und Wirtschaftswunderjahre schreiben – für den, der ihre Möglichkeiten zu nutzen versteht. Beitz stellt dem Aufsichtsrat der Versicherung selbstbewusst seine Bedingungen: ein Gehalt von damals beachtlichen 3500 D-Mark und den Titel eines Generaldirektors. Beides wird ihm zugesagt, und am 1. Juni 1949 nimmt er seine neue Tätigkeit auf. Dem Aufsichtsrat sagt er, in Abwandlung seines Mottos bei den Versicherern: »Ich mache die Arbeit, und Sie passen auf, dass mir nichts passiert.«
Um Beitz’ Rolle beim weiteren Aufstieg der Iduna-Germania ausreichend zu würdigen, lässt man ihn am besten selbst zu Wort kommen. 1953 blickt er in einem Rechenschaftsbericht auf sein Werk der vergangenen fünf Jahre zurück; es dürfte der ungewöhnlichste Tätigkeitsnachweis in der jüngeren deutschen Unternehmensgeschichte sein, zumindest in Aufmachung und Stil. Statt der üblichen Floskeln im seinerzeit schon schwer verdaulichen Managerjargon verfasst Beitz, vielleicht mit Hilfe eines satirisch begabten Schreibers, eine fiktive Festansprache aus dem Jahr 2054, aus der Perspektive eines Redners, der auf 200 Jahre Unternehmensgeschichte zurückblickt. Gleich zu Beginn des Berichts sieht man eine hübsche Zeichnung, nämlich den jungen Herrn Generaldirektor vor einem Teller mit Bockwurst und Senf. Dazu lässt Beitz seinen erfundenen Redner sagen:
Betrachten wir zunächst sein eigenes Bild, dann müssen wir unumwunden feststellen, daß es einen sympathischen jungen Mann darstellt; doch drängt sich beim näheren Zusehen die Frage auf: warum das Würstchen nebst Pappteller, das er in Händen hält?
Juni 1949. Es ist tropisch heiß im sonst so alsterkühlen Hamburg, auch im 4. Stock des Hauses Jungfernstieg Nr. 40, dessen einzelne Etagen noch die unverkennbaren Spuren des Krieges tragen. Aber schon flickt man hier wie dort und geht an den Wiederaufbau dessen, was ein Krieg zerstörte. Überall hämmert und klopft es, so daß eine Verständigung unter den im gleichen Zimmer Arbeitenden ebenso schwierig ist wie zwischen den Völkern … Nun sitzt dieser Mann in einem kleinen Raum der Filialdirektion am Jungfernstieg, mitten in Lärm und Staub, denn auch nebenan, in Streits Hotel, hämmert und klopft es. Denkt er daran, daß vor diesem Hotel einmal begeisterte Hamburger Studenten dem Dichter des Deutschlandliedes, August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, große Ovationen darbrachten? Wohl kaum, er hat andere Sorgen und vor allem keine Zeit zur Muße, ja kaum zum Essen. Er diniert nicht nebenan, nein, er hat sich schnell ein Paar Würstchen holen lassen, die er so nebenbei mit dem gesunden Appetit seiner Jahre verzehrt. Sein erhobener Zeigefinger und sein strahlendes Lächeln gelten nicht der Hamburger Bockwurst, die ja kurz vorher noch Mangelware und nur auf Fleischmarken zu haben war, sondern einer Idee, die ihm kam und alles das bestimmte, was in den nächsten vier Jahren [nach 1948; J. K.] geschehen sollte.
Berthold Beitz als Generaldirektor der Iduna-Germania Versicherungsgesellschaften. Karikatur von 1953.
Diese »Idee« heißt Konzentration der Kräfte in Hamburg und – als Krönung, ja Inszenierung der jüngsten Erfolgsgeschichte – Neubau der Unternehmenszentrale durch einen spektakulären, lichten und transparenten Bürobau am Alsterufer. Dieser soll die quer durch die Stadt verstreuten Behelfsbüros ersetzen, über die Beitz sagt: »In diesen Löchern kann ja kein Mensch arbeiten!« Die Anwohner mögen weniger erfreut sein – von jeher ist das citynahe linke Alsterufer ein gehobenes Wohnviertel, wo sich kleine und große Villen, parkähnliche Gärten und Bootshäuser abwechseln; zudem ist es einigermaßen unbeschadet durch den Krieg gekommen. Der Versicherungschef hält den Kritikern entgegen: »Ich kann nicht
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