Berthold Beitz (German Edition)
man noch lange in den Knochen«, sagt Beitz heute, »noch sehr lange.« Aber er behält es für sich. Nur in seinem schon zitierten heiter-ironischen Unternehmensbericht von 1953 klingt Distanz zu einer sehr vergesslichen Umwelt durch: »Der Gefahr, … näher auf die Ereignisse und Wirrnisse der Jahre 1933 bis 1939 und weiter bis 1945 einzugehen, wird unser Redner keineswegs erliegen. Denn er ist ein kluger Mann, der politische und militärische Fakten nur kurz erwähnt, um sich sodann eingehender mit dem Wirtschaftlichen zu beschäftigen.«
Partys, Männerfreundschaften und vor allem die ewige Arbeit: Beitz’ junge Familie ist darüber nicht immer begeistert. Andererseits hat der phönixhafte Aufstieg des Ehemanns und Vaters die Familie und die Verwandtschaft wie durch Zauberhand aus der Hüttensiedlung herausgeholt. Else und Berthold Beitz wohnen mit ihren beiden Töchtern nun in schönster Alsterlage in der Blumenstraße, wo sie zwei Etagen eines Jugendstilhauses gemietet haben. Auch die Hochheims haben das Wandsbeker Notquartier schon lange verlassen; und 1947 sind auch endlich Berthold Beitz’ Eltern aus Greifswald nach Hamburg gekommen – wo der Sohn dem Vater Erdmann Beitz diskret zu einem guten Bankjob verholfen hat. Trotz allem ist Beitz oft fort, zu oft aus Sicht der Seinen, wie es Springers Hamburger Abendblatt 1951 im gönnerhaft altväterlichen Stil der Zeit beschreibt: »Seine Frau und die beiden lütten Deerns sehen ihn selten. ›Pappi fährt immer weg‹, mault die Jüngere.« Der Journalist mutmaßt, dass Beitz bald noch länger fortbleiben wird: »Bürgermeister Brauer meint nämlich, wer eine solche ›amerikanische Karriere‹ gemacht habe, solle sich auch jenseits des großen Teichs umschauen.«
Das große Angebot aber, das Berthold Beitz’ Leben für immer ändern soll, kommt nicht aus den USA . Es kommt aus Essen, dem Reich der Kohle, Schlote und Ruhrbarone.
Alfried Krupp: Der stille Stahlkönig
EIN MÄDCHEN AM MEER
Später ist Berthold Beitz oft gefragt worden: War das wirklich Zufall? War er, Beitz, nicht längst ein Kandidat für die Spitze des größten deutschen Industriekonzerns, nur eben, ohne davon zu wissen? Aber das stimmt nicht, versichert Beitz: »Die Begegnung mit Alfried Krupp war ein reiner Zufall.«
Und tatsächlich, eine Kontaktaufnahme auf solchen Umwegen ließe sich schwerlich planen. Die Geschichte beginnt in Kampen auf Sylt und mit der spontanen Idee, eine Skulptur für den Erweiterungsbau der Iduna-Germania in Hamburg zu schaffen. Und am besten, denkt Beitz, wäre doch die Iduna selbst, die Namensgeberin, Göttin der Jugend aus der nordischen Mythologie. Sein Freund Jean Sprenger übernimmt die Sache. Den 30-jährigen Essener Bildhauer und Bonvivant, Sohn einer Industriellenfamilie, hat Beitz im Kampener Lokal »Kupferkanne« kennengelernt, einem beliebten Treffpunkt des Sylter Freundeskreises. Wie es der Zufall will, ist die junge Frau, die Beitz als Iduna-Modell im Auge hat, die Schwester von Sprengers Freundin.
Ein paar Wochen später steht Beitz in Sprengers Essener Atelier. Er will die Figur anschauen, die künftig sein Hauptquartier verschönern soll. Als der Bildhauer die Plastik stolz enthüllt, fühlt sich der Besucher verpflichtet, zur Ehrenrettung des lebenden Vorbilds ein kritisches Wort anzubringen: »Herr Sprenger, die Beine sind zu dick.«
Da öffnet sich die Tür, und ein Mann kommt herein, »groß, schmal und sehr blass«, so Beitz. Die beiden stellen sich vor: »Krupp«, »Beitz«. Es ist der Beginn einer Beziehung, die deutsche Industriegeschichte schreiben wird. Aber davon kann Berthold Beitz natürlich noch nichts wissen, als Krupp ihn und Sprenger zum Abendessen einlädt. Beim Gespräch im Restaurant betrachtet er den Mann, dem Deutschlands bekanntester Konzern gehört und der nun mit ihm am Tisch sitzt: »Da war er ganz schüchtern, sehr ruhig.« Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, im Jahr 1952 Alleineigentümer des Konzerns und einer der reichsten Männer Deutschlands, sein jüngerer Bruder Berthold und Jean Sprenger sind alte Bekannte. Sie alle haben das Real-Gymnasium Essen-Bredeney besucht, und Sprenger wird nie vergessen, wie demonstrativ einfach die Kinder der mächtigen Familie aus der Villa Hügel, dem Sitz der Industriellendynastie, gekleidet waren. Alfried und Jean ruderten gemeinsam, studierten in Berlin. Manchmal kommt Alfried Krupp von Bohlen und Halbach abends bei Sprenger vorbei und bleibt auf das eine oder andere Glas
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