Berthold Beitz (German Edition)
zwölf Jahren Haft und der Einziehung seines gesamten Vermögens.
Sosehr Alfrieds Schwager Tilo von Wilmowsky, der als KZ -Häftling die Todesmärsche nur knapp überlebt hat, Alfried Krupp später in Schutz nimmt (»Strafprozesse werden doch nicht gegen Ideologien und Legenden, sondern gegen Menschen geführt«) – frei von Verstrickung in das Regime und seine Verbrechen sind weder Alfried Krupp noch seine Firma gewesen, denn immerhin war er noch für anderthalb Kriegsjahre Herr des Konzerns. Wenn es eine Ungerechtigkeit gibt, dann ist es die Fixierung auf Krupp als Symbol des Bösen beziehungsweise auf einen Mann, der keineswegs ein überzeugter Nationalsozialist war. Die Wahrheit über die deutsche Wirtschaft im Dritten Reich ist im Grunde viel schlimmer, als die Prozesse gegen einzelne Träger großer Namen es zeigen können. Wie viele Bereiche der Gesellschaft hat ein Großteilder Unternehmerschaft das Regime mitgetragen, von ihm profitiert und sich mit Schuld beladen; sie hat die besetzten Staaten ausgebeutet, von Kriegsaufträgen profitiert und Sklavenarbeiter aus allen Ländern schuften lassen.
Sechs Jahre sitzt Alfried Krupp im Landsberger Kriegsverbrechergefängnis ein, jenem düsteren früheren Festungsgefängnis der Kaiserzeit, in dem schon Adolf Hitler nach dem missglückten Münchner Putsch von 1923 ein paar – freilich nicht allzu beschwerliche – Monate verbracht hat. Die schwer bewachte Anlage, konzipiert für Hunderte von Häftlingen, ist ein Universum für sich, der freundlichen Kleinstadt mit ihren Tortürmen, Bürgerhäusern und bunten Fassaden am Lech sehr nah und doch sehr weit von ihr entfernt. Zweimal am Tag werden die Gefangenen zur Arbeit geführt, für je vier Stunden, und jedes Mal danach gründlichen Leibesvisitationen unterzogen. Alfried Krupp betätigt sich als Schlosser. Im Besuchssaal der Anstalt trifft er gelegentlich seine Direktoren, die in seiner Abwesenheit die Trümmer des Konzerns zu verwalten suchen. »Nennen Sie mich Krupp«, antwortet er einem Aufseher, der ihn höflich fragt, wie er angesprochen werden wolle, »wegen dieses Namens sitze ich hier.«
In einem streng abgeschirmten Seitentrakt der Anstalt sind die »Rotjacken« untergebracht, die zum Tode Verurteilten, unter den Häftlingen so benannt nach ihrer Kluft: etwa Otto Ohlendorf, Leiter der SS -Einsatzgruppe D, die hinter der Front im Osten Zehntausende Menschen umgebracht hat. Oder Hans-Theodor Schmidt, der Adjutant des Lagerkommandanten aus Buchenwald. Verglichen mit ihnen, den Mördern, scheint der Industrielle aus Essen wie aus einer anderen Welt zu kommen.
Alfried Krupp hat in Landsberg viel Zeit zum Nachdenken. Es geht ihm nicht gut, er grübelt, blickt auf ein freudloses, an Schicksalsschlägen und falschen Entscheidungen nicht armes Leben zurück. Vor allem aber ist er allein, wie fast immer. Von der Familie Krupp fühlt er sich verlassen. Die Frau, die er einmal geliebt hat, ist ihm seit langem entfremdet. Arndt, der gemeinsame, 1938 geborene Sohn, weilt im Landerziehungsheim Stein in Oberbayern.
Die Wende bringt ausgerechnet ein neuer Krieg, weit entfernt auf der koreanischen Halbinsel. Am 25. Juni 1950 überrennen Soldaten des kommunistischen Nordkorea die Grenze nach Süden, und aus dem Kalten Krieg der längst entfremdeten Siegermächte in Ost und West entwickelt sich ein blutiger Stellvertreterkonflikt. Der Koreakrieg hat für Deutschland ungeahnte Folgen: Aus Geschlagenen und Geächteten werden unversehens Bündnispartner, und die Zerschlagung westdeutscher Konzerne rückt auf der politischen Prioritätenliste zumal der USA endgültig um etliche Plätze nach unten. Die Wirtschaft an der Ruhr wird wieder gebraucht – und damit auch Alfried Krupp von Bohlen und Halbach.
Hinzu kommen Zweifel an der Gerechtigkeit des Urteils. »He was not the real Krupp«, sagt der alliierte Hochkommissar John McCloy 1951, als er ihn und viele andere Landsberger Häftlinge begnadigt: Er war nicht der wirkliche Krupp, sprich, nicht einfach gleichzusetzen mit seinem Vater. Daher sei es nicht gerechtfertigt, »diesen Mann weiterhin im Gefängnis einzusperren, hauptsächlich deswegen, weil sein Name Krupp ist«.
Am 3. Februar 1951 öffnen sich die Tore der Landsberger Haftanstalt, es ist ein nebliger, frösteliger Morgen. Alfried Krupp tritt hinaus in die Freiheit, dazu weitere 28 Begnadigte. Ohlendorf und andere SS -Massenmörder hingegen bleiben hinter Gittern und werden bald hingerichtet, denn auch die neue
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