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Berthold Beitz (German Edition)

Berthold Beitz (German Edition)

Titel: Berthold Beitz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Käppner
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bedecken die Stadt und nicht zuletzt das Gelände der gigantischen Gussstahlfabrik, die zu weiten Teilen ein Trümmerhaufen ist. Zwei Drittel der Krupp’schen Werke in Essen sind zerstört oder schwer beschädigt. Und vieles, was noch steht, fällt schließlich der Demontage durch die Sieger zum Opfer.
    Überall dort, wo das Feuer vom Himmel gefallen ist, stehen noch Ruinen. Hier und da hängt man Werbeschilder an die brüchigen Fassaden. Unverdrossen legen die Essener Schrebergärten in den Brachen an, die der Krieg geschlagen hat. Rund um den alten Wasserturm der »Eisernen Hand« wachsen nun Salat, Kohlköpfe, Rüben.
    Etwa zu der Zeit, als Beitz nach Essen kommt, beginnt ein junger Mann durch die Stadt zu ziehen, eine Leica in der Hand. Horst Lang ist Laborant im Photogeschäft Küllenberg am Kopstadt-Platz, hier trifft er den Fotografen Albert Renger-Patzsch, einen Meister seines Fachs. Dieser hat im alten Ruhrgebiet etwas erkannt, was viele, gerade Auswärtige, nicht sehen wollten oder konnten: Schönheit, Würde, Heimat hinter den rauchenden Schloten und Fördertürmen.
    Ende der fünfziger Jahre wird der Kölner Fotograf Chargesheimer die Bildreportage Im Ruhrgebiet veröffentlichen und Heinrich Böll ein denkwürdiges Vorwort dazu schreiben: »Die Vorstellung, daß Menschen hier leben, mag dem Fremden, der am Abteilfenster steht, phantastisch vorkommen, obwohl er die Menschen sieht …; er glaubt nicht an diese Menschen, hält sie für Phantome, Verlorene, Verdammte.« In dieser Welt sei die Farbe Weiß »nur ein Traum«. Chargesheimer wiederum hat dazu eine düstere, dunkle Bilderwelt geschaffen. Horst Lang hat das nicht gefallen: »Der ist da mit seinen Vorurteilen durchmarschiert, und die hat er dann fotografiert.«
    Auf Langs Bildern ist das anders. Er will nichts verklären und nicht anklagen. Er will zeigen, wie es ist. Da sind Ruß und schwarze Fassaden alter Bergmannshäuser zu sehen, spielende Kinder auf den Bahndämmen und Brachflächen. Da ist der kleine Eckladen im Schatten der Zeche Victoria Mathias an der Altenessener Straße, der den Kumpels die Angebote des Tages anpreist, mit Kreide auf schwarze Schiefertafeln geschrieben: Hähnchen und Hühnerbein, Spinat und Grünkohl, Bier und »tagfrische Milch«. Da sind die Stallungen in den Hinterhöfen der geduckten Borbecker Arbeiterhäuschen und die freilaufenden Gänse, die einen Straßenköter von ihrem Futternapf fortjagen. Und da sind die Jugendlichen am Rhein-Herne-Kanal, die fröhlich am Ufer hocken und übers Wasser auf die Hafenkräne und die Schleppkähne schauen, als blickten sie auf sonnige Gestade des Südens. Das ist der Alltag jener Stadt, in der Berthold Beitz im Herbst 1953 eintrifft und in der er bleiben wird, mehr als ein halbes Jahrhundert lang.
    Man wird selbst bei sehr gutem Willen nicht behaupten können, der künftige Essener habe die sensiblen Gefühle des Fotografen Lang für die neue Heimat geteilt. Immerhin war es Beitz, der nach einem früheren Besuch des Ruhrgebiets, nach einer Fahrt entlang der Ruinen und schwarzen Rauch spuckenden Hochöfen seinen verrußten Dienst-Mercedes betrachtet und seiner Entourage kundgetan hatte: »Hier möchte ich nicht tot überm Zaun hängen.« Er erzählt noch heute gern die Anekdote, er habe den »Bochumer Verein« – jenes bedeutsame Hüttenwerk, das später eine Schlüsselrolle beim Wiederaufbau von Krupp durch Beitz spielen sollte – »anfangs für einen Fußballclub gehalten«.
    Berthold Beitz’ neue Arbeitsstätte ist sehr wenig dazu angetan, den Kulturschock zu lindern. Krupps Firmenleitung residiert in einem schmucklosen Bau. Er steht direkt neben dem wuchtigen, burgartigen Verwaltungskomplex an der Altendorfer Straße, der wundersamerweise die Flächenbomdardements überstanden hat. Brachen, Ruinen und Hallen mit verrußten, einsam in den Himmel ragenden Dachbalken umgeben die Schaltstelle des einstigen Weltkonzerns.
    Die Runde, der Alfried Krupp am 31. Oktober 1953 seinen neuen Mann vorstellt, gleicht, wie der Spiegel Jahre später in einer Titelgeschichte über »Krupps Mörser« – eben Berthold Beitz – schreiben wird, »einem geschlossenen Eisblock«. Vor Alfried Krupps Tür haben die Direktoren gewartet, anders als Beitz, der bereits mit dem Chef in dessen Arbeitszimmer weilt – und allein das schon muss die Herren pikieren. Krupp kommt wie üblich ohne weitere Höflichkeitsfloskeln zur Sache: »Das ist Herr Beitz, der neue Generalbevollmächtigte.« Er habe sein

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