Berthold Beitz (German Edition)
gewachsen. Zu ihnen gehört Eberhard Helmrich, wie seine Tochter Cornelia Schmalz-Jacobsen schreibt: »Ich glaube, dass all seine Kraft, die er einmal besessen hatte, einfach aufgebraucht war. Er ist nie wieder richtig auf die Beine gekommen.« Also schweigen viele Retter. Berthold Beitz aber ist einer der mächtigsten Industriellen des Landes und jemand, der Alleingänge trotz massiver Ablehnung daheim nicht scheut, wie er bald mit seinen Reisen nach Polen zeigen wird. 1959 ist er der erste deutsche Unternehmensführer, der sich aus Überzeugung für die Wiedergutmachung einsetzt. Die Furcht vor gesellschaftlicher Ausgrenzung dürfte in seinem Fall demnach wohl kaum ein Motiv für das Schweigen sein.
Auch Helmut Schmidt, der frühere Bundeskanzler, hat erst in den siebziger Jahren von Beitz’ Rettungsaktionen in Boryslaw erfahren. Er erklärt sich das lange Schweigen von Beitz mit einer wesentlich plausibleren These: »Er ist vom Typus durchaus sehr selbstbewusst und weiß, was er wert ist. Nur an Bescheidenheit liegt es wohl nicht, dass er darüber nicht gesprochen hat. Ich glaube, es ist wahrscheinlich eine instinktive Reaktion, die noch aus der Zeit kommt, als er die vielen Menschen dort gerettet hat: ein Instinkt, sich dieser Heldentat nicht zu rühmen.«
Wie alle, welche die Nationalsozialisten und ihre Politik ablehnten, konnte Beitz das nicht offen tun. Er musste heimlich vorgehen, lernen, nur wenigen zu trauen, über Dinge zu schweigen, über die das Herz nur zu gern sprechen würde. »Diese Vorsicht, diese Gewohnheit, dass man darüber am besten nicht spricht, bleibt über den Krieg hinaus bestehen«, sagt Schmidt, »sie wird einfach instinktiv zu einer festen Verhaltensweise, ohne dass man besonders darüber nachdenkt.«
Schmidt hat dies, in einem völlig anderen Fall, bei sich selbst erlebt: »Ich habe während der Nazizeit im Dritten Reich niemandem erzählt, dass ich einen jüdischen Großvater hatte, aus Sorge, dass es rauskommt. Wir haben unsere Abstammungspapiere manipuliert. Ich habe darüber nie geredet. Und irgendwann habe ich es meinem Freund Valéry Giscard d’Estaing erzählt.« Und erst als der französische Präsident, nach seiner Amtszeit, seine Lebenserinnerungen aufschreibt, fragt er Helmut Schmidt: »Darf ich das schreiben, dass du mir das erzählt hast?« Und erst da ist ihm aufgefallen, dass er noch Jahrzehnte danach fast niemandem vom jüdischen Großvater erzählt hat: »Das habe ich aus Instinkt getan.«
Das würde auch zu Beitz’ Reaktion auf die furchtbaren Erlebnisse von Boryslaw passen und zu seinem Menschenbild, das sich durch Polen deutlich verändert hat. Er hat ein Misstrauen entwickelt, das er selbst so beschreibt: »Ich bin pessimistischer geworden, den Menschen gegenüber skeptischer.« Die Folge des Misstrauens ist eine gewisse Distanz, die viele nicht vermuten, die Beitz in Hamburg oder Essen als charmanten und humorvollen Gesprächspartner erleben, also einen alles andere als kontaktscheuen Menschen. Aber die Distanz ist da, und nur wenige wirkliche Freunde überbrücken sie.
Beitz trägt die Polen-Erfahrung im Herzen und nicht auf der Zunge. Gleichwohl hegt er eine kräftige Spur Verachtung für all jene – und das sind auch bei Krupp nicht wenige –, die nach 1945 den Krieg so verherrlichen, als sei es ihre beste Zeit gewesen. »Nach 1945«, so Beitz, »gab es viele, die geprahlt haben, was für große Männer sie damals gewesen seien. Sie interessierten mich nicht.«
Noch aufschlussreicher als das Verhalten von Beitz ist ohnehin das seiner Umgebung. Es stimmt zwar, dass er selbst nicht über Boryslaw spricht, nicht einmal mit Alfried Krupp. Und dennoch, wer es wissen will, der kann es erfahren. Alfried Krupp muss es gewusst haben, vielleicht hat er Beitz gerade auch deswegen ausgesucht – einen moralisch unbelasteten Mann mit Rückgrat. Er hat sich dazu nicht geäußert. Zwar erwähnen gelegentlich Zeitungsartikel über Alfried Krupps Wunderknaben nebenbei auch dessen Einsatz für die Verfolgten, aber einen eigenen Beitrag scheint das in den fünfziger Jahren niemandem wert zu sein. In der Bundesrepublik ist das Wissen um Beitz’ Rettungsaktionen in den Jahren 1942 bis 1944 noch immer etwas, dem man scheu ausweicht. Von »untadeligem Benehmen« ist in Zeitungsberichten über den Krupp-Bevollmächtigten die Rede; es ist, als verfielen die Verfasser in ein dunkles Raunen über Dinge, die man besser nicht laut und öffentlich erörtert. In einer
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