Berthold Beitz (German Edition)
muss. Für derlei habe er in seinen Betrieben kein Geld, schnappt er, als ihm Beitz einige Reformvorschläge ans Herz legt. Beitz fragt ironisch, er habe bisher geglaubt, das Geld des Konzerns gehöre Alfried Krupp und nicht Johannes Schröder. Ob er sich da vertan habe? Auch Direktor Fritz Wilhelm Hardach wird von Beitz gemaßregelt: Wie er dazu komme, sich ohne Rücksprache eine teure neue Dienstlimousine zuzulegen? Dabei ist Beitz beileibe kein Beißer, der die Macht um ihrer selbst willen schätzen und sein Selbstgefühl aus der Zahl der Untergebenen ziehen würde, die er täglich demütigt. »Macht war für mich niemals ein Wert an sich«, sagt er heute. »Aber: Man muss die Macht zu gebrauchen wissen, wenn es nötig ist.«
Und wenn es nötig ist, verlässt sich Alfried Krupp auf ihn. Gleich zu Beginn wird Beitz einmal von Alfried Krupps Mutter eingeladen, der 66-jährigen Bertha Krupp. Man trifft sich in ihrem Haus zum Tee, und nach allerlei höflichen Worten kommt die Gastgeberin auf ihren Sohn zu sprechen, auf Alfried, den Firmenerben und Alleininhaber. Es ist nicht zu verkennen, dass sich die Mutter darum sorgt, ob er der enormen Belastung durch die tägliche Führung eines Großkonzerns, und noch dazu eines Großkonzerns in Nöten, psychisch gewachsen ist. »Unangenehme Dinge«, sagt sie zu Berthold Beitz, »macht er nicht so gerne.«
Bei den Jüngeren im Haus findet Beitz dagegen bald eine eingeschworene Fangemeinde. Er kann streng und sehr fordernd sein, aber er ist auch gelassen, hört moderne Musik, kann mit den Leuten reden, hasst sinnlose Förmlichkeiten, macht Scherze und ist nicht arrogant. Günter Vogelsang erinnert sich vor allem daran, »dass Beitz ein lockerer und fröhlicher Chef war. Das war eine Art, die mir als Rheinländer gut gefiel.« Beitz ist jovial mit Untergebenen, manchen begrüßt er mit einem Klaps auf die Schulter.
Im Übrigen steht der Neue nicht ganz allein gegen alle, denn er ist nicht der einzige Generalbevollmächtigte. In den ersten beiden Jahren steht ihm ein Kruppianer von echtem Schrot und Korn zur Seite, nämlich der schon 67-jährige Friedrich Janssen, der Besuchern salopp zu erläutern pflegt: »Ich war mit Alfried in Nürnberg und im Kasten.« Im April 1953 hat Alfried Krupp den Veteranen, der 1948 mit ihm auf der Anklagebank gesessen hatte und wie er mehrere Jahre in Landsberg inhaftiert war, zum Bevollmächtigten ernannt – eine Übergangslösung, wie jedem klar ist, schon allein wegen Janssens Alter. Janssen hat neben Schröder mit den Alliierten um die Zukunft der Firma gerungen. Eine eindrucksvolle Erscheinung mit seinem fast kahlen Schädel und den dichten schwarzen Augenbrauen, folgt Janssen dem bezeichnenden Wahlspruch »Es ist schön, wenn man den eigenen Dreck an den Füßen hat«. Altersmild und loyal, bleibt er der Ablehnungsfront gegen Beitz fern, ja, er wird für diesen vielmehr sogar so etwas wie ein väterlicher Freund. Er führt ihn durch die Hitze der Stahlwerke und den Lärm der Produktionshallen ebenso wie durch das verschlungene Reich der Krupp’schen Führungshierarchien mit ihren Intrigen und Fallstricken. In deutlichem Kontrast zu seinem jüngeren Kompagnon ein Fußballfan im fußballverrückten Ruhrgebiet, klärt er Beitz mit einschlägigen Metaphern über ihre Rollenverteilung auf: »Also ich bin Szepan, und Sie sind Kuzorra, verstanden? Ich gebe die Vorlagen, und Sie schießen die Tore!«
Es geht also um die Macht im Konzern, aber nicht nur um sie. Altes Denken steht gegen neues, die Vergangenheit gegen eine noch höchst unsichere Zukunft. Krupp, dieses zerfallene Imperium des Stahls, ist ein Mythos, im Guten wie im Bösen. Es wird nie mehr sein können, was es einmal war. Berthold Beitz fühlt dies instinktiv. Gewiss, Führungsstrukturen lassen sich ändern, und Beitz wird genau das bald tun. Das ist schwer genug. Schwerer, in vielen Fällen unmöglich ist es, die Mentalität zu ändern.
Den Beharrungswillen der Direktoren spürt Beitz bei jedem der täglichen Telefonate, in denen sie gegen Änderungen protestieren oder ihn durch kühle Förmlichkeit spüren lassen, dass sie seine Zeit im Konzern für sehr begrenzt halten. Er spürt ihre Ablehnung, wenn er ihnen im Konferenzsaal an der Altendorfer Straße mitteilt, dass künftig keine Prokuristen ohne seine und Alfried Krupps Zustimmung zu bestellen sind. Er weiß, wer gemeint ist, wenn das Direktorium wünscht, künftig »über Einstellungen leitender Herren und die
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