Berthold Beitz (German Edition)
Außenseiter ist, einer, den nur eine rätselhafte Laune des mächtigen Alfried Krupp zu einem der Topindustriellen an der Ruhr, ja im Bund gemacht haben könne. Er lädt Beitz grundsätzlich nicht zu privaten Feiern ein, auch wenn sonst der ganze Ruhradel dort versammelt ist – die Festivitäten der Industriellen spielen eine wichtige gesellschaftliche Rolle. Er selbst ist Mittelständler aus dem sauerländischen Altena, ein Mann, der es weit gebracht hat. Und er lästert: Da kommt so einer aus Hamburg, der noch nie ein Stück Stahl gesehen habe, und fängt jetzt an, hier Politik zu machen. So redet Berg daher, wie sich ein anderer großer Ruhrindustrieller, Beitz’ langjähriger Weggefährte Günter Vogelsang – 1954 der erste von ihm geholte Konzernrevisor –, im Rückblick erinnert: »Fritz Berg war ein Haudegen.«
Nach der Leipziger Messe 1960 geraten die beiden selbstbewussten Männer heftig aneinander. Auf dem Krupp-Stand hatte Beitz’ Kommunikationsbeauftragter Carl Hundhausen dem DDR- Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht zugeprostet, gemeinsam mit anderen Standleitern aus dem Westen. Diese äußerlich freundliche Geste soll, wie die Beteiligten später beteuern, Ulbricht davon abhalten, in eine seiner gefürchteten politischen Tiraden zu verfallen. Diese Taktik erweist sich zwar als erfolgreich, erscheint dem Kanzler freilich als Zeichen der Willfährigkeit gegenüber dem SED -Regime. Adenauer und Berg verfassen ein scharfes Kommuniqué: »Dieses Auftreten ist für die Interessen der Bundesrepublik und des deutschen Volkes sehr abträglich und verwerflich.« Berg verspricht, die betreffenden Firmenchefs persönlich auf Linie zu bringen. Im Haus des Kanzlervertrauten Pferdmenges trifft er dann freilich auf Beitz und Mannesmann-Generaldirektor Hermann Winkhaus, die wenig Neigung zeigen, sich vom BDI -Boss abkanzeln zu lassen. Beitz erwidert ihm: »Wenn Sie glauben, Herr Berg, Kommissar des Kanzlers für die deutsche Industrie zu sein, dann sind Sie auf dem falschen Dampfer.« Laut Spiegel soll Berg nach der aus seiner Sicht missglückten Begegnung geklagt haben: »Herr Beitz, Sie sind immer so frech zu mir.«
Bergs Aversion wird nicht geringer, als Beitz ihr äußerlich mit aufreizender Gelassenheit begegnet. Einmal, auf der Tanzfläche eines Industrieempfangs, trifft er auf Berg und scherzt: »Herr Berg, eigentlich gehören Sie doch gar nicht zur Industrie. Sie gehören zur Vergnügungsindustrie, sie stellen Matratzen her.« Berg produziert Eisenwaren, darunter Bettfedern. Wer mit dem Firmenchef Alfried Krupp Geschäfte machen will, kommt an dem selbstbewussten, schlagfertigen, auf provozierende Weise unerschütterlichen Generalbevollmächtigten nicht vorbei.
Im Rückblick sagt Berthold Beitz noch heute heiter: »Das mit der Vergnügungsindustrie war natürlich auch nicht sehr geschickt. Berg und Sohl hatten sehr scharfe Vorbehalte gegen mich. Da kommt einer vom Dorf und erhält diese Stellung. Die haben alles versucht, mich aufs Kreuz zu legen!«
Beitz weiß, was für ihn auf dem Spiel steht: »Wenn ich einmal als geschlagener Krieger aus dem Revier flüchten würde, wäre meine ganze Karriere im Eimer.«
POLEN: DIE SCHWIERIGE ERINNERUNG
Aber er schweigt über seine Rettungstaten in Boryslaw. Das ist seine Geschichte, seine allein: »Warum hätte ich über die Zeit in Polen sprechen sollen? Warum? Um mich selber zu belobigen? Ich habe das doch nicht getan, weil es mir irgendwann einmal nützen könnte.« Er will nicht für etwas bewertet werden, was er mit sich selbst ausmacht und was mit seiner Arbeit bei Krupp gar nichts zu tun hat. Er will seine Autorität und seine Erfolge aus sich selbst heraus gewinnen und nicht aus dem Mut, den er in Boryslaw bewiesen hat.
Das ist ein gewichtiges und sehr persönliches Motiv. Andere mögen hinzukommen. Fast niemand, der im Dritten Reich verfolgte Juden gerettet hat, äußert sich in den fünfziger Jahren öffentlich darüber. So unterschiedlich die Retter als Typus sind, so unterschiedlich dürften ihre Gründe sein, ihre Geschichten nachher für sich zu behalten. Manche fürchten gewiss die restaurative Stimmung der Adenauerzeit. Anders als fünfzig Jahre später, in einer völlig gewandelten Gesellschaft, muss jeder, der eine solche Tat offenbart, mit Abwehr, Leugnung, Selbstrechtfertigung, Neid rechnen, zumindest mit Unverständnis für die Größe seines Handelns. Und einer solchen Reaktion sind manche Retter, oft selbst traumatisiert, nicht
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