Berthold Beitz (German Edition)
der Arbeit des jungen Beraters, und eines Vormittags im Jahr 1954 ruft er ihn wieder an. Er kenne da einen Herrn Beitz in Essen, »und der sucht so einen Mann wie Sie«. »Aber der kennt mich doch gar nicht«, entgegnet Vogelsang. Das, meint Frohne, lasse sich ja ändern. »Ich habe Sie beschrieben. Gehen Sie doch mal mit ihm essen.«
Und so kommt es, dass Vogelsang und Beitz bald darauf im Essener Hof speisen. Hier treffen sich also im Frühjahr 1954 zwei Männer, deren Lebenswege von nun an immer wieder eng miteinander verwoben sein werden. Hier Beitz, der charmante, in Gruppen wie selbstverständlich locker und wortgewandt auftretende Topmanager mit dem Sinn für die großen Linien der Unternehmensführung, dort Vogelsang, über den Die Zeit einmal schreibt, er habe »die Statur eines trainierten Boxers und die fröhliche Unverwundbarkeit eines erfolgreichen Torschützen«. Der knurrige, zu Wortkargheit neigende Mann mit dem trockenen Witz ist ein Systematiker und Zahlenmensch. Rasch erfasst er die komplexesten und verzwicktesten Prüfberichte, deren Anblick, geschweige denn Lektüre für Berthold Beitz eine körperliche Pein wäre. Und doch eint die beiden mehr, als es zunächst scheinen mag: ein ausgeprägter Instinkt, Chancen zu erkennen und zu nutzen, ein nicht zu bescheidenes Selbstbewusstsein, Skepsis und Furchtlosigkeit gegenüber Autoritäten und großen Namen, Unabhängigkeit von anderen – auch voneinander, wie sich viel später zeigen wird.
Beitz gefällt der sieben Jahre jüngere Mann, der ihm da gegenübersitzt, und so fragt er ihn geradeheraus: »Haben Sie Lust, zu Krupp zu kommen?« Doch Vogelsang lehnt ab: »Tut mir leid. Aber ich bin Freiberufler, ich möchte keinen Chef haben.« Beitz indes lässt nicht locker, und Vogelsang sieht sich schließlich die Hand des Krupp-Generalbevollmächtigten schütteln, der ihm Autonomie im Job und »ordentliche Bezüge« (Vogelsang) zusagt. Wie betäubt fährt Vogelsang zurück, der Beitz’schen Beredsamkeit erlegen.
Was weiß er eigentlich von Krupp? »Krupp und Kanonen, sicher«, meint er dazu heute. »Aber das war vorbei.« Vogelsang kommt nicht wegen Krupp, so wie es ist. Er kommt wegen Berthold Beitz und dem, was dieser aus Krupp zu machen verspricht. Beitz wiederum handelt in auffallender Parallele zu seinem eigenen Engagement in jener Hamburger Regennacht ein Jahr zuvor: Er vertraut seiner Intuition und holt Leute von außen, die sich gleich ihm erst durchsetzen müssen und denen er das auch zutraut. Vogelsang ist sehr eingenommen von seinem Chef, und so sagt er heute, 55 Jahre später: »Wenn du mit Berthold Beitz etwas verabredest, dann gilt das so. Er ist absolut zuverlässig.«
In einem Privatunternehmen, das keine Aktionäre, Aufsichtsräte und Bilanzpressekonferenzen kennt, ist der Revisionschef ein wichtiger Mann. Von Beginn an gibt Beitz dem jungen Manager freie Hand: »Prüfen Sie kalt, nüchtern und ohne Rücksicht auf die Person. Es gibt für Sie nirgendwo Grenzen.« Daraufhin tut Vogelsang so, als wolle er die Füße auf den Schreibtisch seines Chefs legen. Der nimmt es gelassen: »So selbstbewusst sollen Sie nun auch wieder nicht sein.«
Vogelsang ist genau drei Tage im Haus, da lässt Beitz ihn rufen. Weit hat er es nicht. Er sitzt nur drei Türen entfernt auf der »grünen« Etage, wie man das Stockwerk der Chefs in Würdigung des dort ausgelegten grünen Flurteppichs bezeichnet. Beitz mustert den leicht beunruhigten Mitarbeiter mit einer Miene, die nichts verrät. Und es wird nicht besser, als er sagt: »Kaum sind Sie drei Tage hier, machen Sie mir schon Ärger.« Vogelsang kann sich beim besten Willen nicht erinnern, in so kurzer Zeit Anlass für einen Rüffel von höchster Stelle geliefert zu haben, doch man weiß ja nie. Hier bei Krupp ist alles anders. »Ich wüsste nicht, warum«, entgegnet er. Beitz fährt im selben, unauslotbaren Tonfall fort: »Ja, wissen Sie das nicht, dass mich schon einige meiner altverdienten Direktoren angerufen haben? Was ich denn da für einen frechen Hund engagiert hätte, der passe doch nun wirklich nicht ins Haus Krupp.« Vogelsang beginnt zu ahnen, was ihn hergeführt hat: sein Besuch bei Dr. Herrmann am Vortag.
Hans Herrmann, zuständig für Maschinenbau und Verarbeitung, ist der dienstälteste Direktor des Hauses Krupp, ein rundlicher Mann von ausgeprägtem Selbstbewusstsein und mit allen Allüren eines Unterkönigs ausgestattet. Im Herbst 1944, mitten in der anbrechenden Götterdämmerung des
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