Berthold Beitz (German Edition)
Amnestie der Landsberger Gefängniszelle entronnen, zustimmen müssen.
Am 4. März 1953 wird das bereits erwähnte Mehlemer Abkommen geschlossen, benannt nach dem idyllischen und unzerstörten Bonner Vorort am Rhein, wo der Alliierte Hochkommissar residiert. Hier, in Sichtweite des Drachenfels und des Siebengebirges, haben einst die Kölner Kaufleute und Industriebarone ihre Villen errichtet. Die alliierten Vertreter sind im weitläufigen Haus der Bankiersfamilie Deichmann untergebracht. Wo also einst die Mächtigen der deutschen Wirtschaft Bedeutung und Reichtum zur Schau stellten, soll nun die Macht ihres bekanntesten Vertreters gebrochen werden, der Firma Krupp.
Alfried Krupp hat die Unterzeichnung delegiert und weilt mit seiner Frau Vera zum Skifahren im schweizerischen Sankt Moritz. Drei Großmächte und ein einzelnes Privatunternehmen besiegeln ein Abkommen, das vielen als Todesurteil für Krupp erscheint. Krupp darf Stahl nur noch verarbeiten, aber nicht mehr selbst produzieren – der Firma soll damit die industrielle Basis genommen werden. Binnen fünf Jahren muss Krupp die Eisenerzgruben, die Zechen in Bochum, Essen und weiteren Orten und, schlimmer noch, das riesige Hüttenwerk in Duisburg-Rheinhausen verkaufen – daher der Begriff »Verkaufsauflage«.
Die Öffentlichkeit in Großbritannien und den USA reagiert pikiert bis empört. Was den Deutschen zu viel ist, geht etlichen dort nicht weit genug, war man doch davon ausgegangen, dass der Name Krupp bald gänzlich Vergangenheit ist. Von Beginn an entschlossen, den Konzern zusammenzuhalten, hat Alfried Krupp dagegen die Vereinbarung von Mehlem nur akzeptiert, weil ihm keine andere Wahl blieb. Sie widerspricht seinem Denken als Konzernbesitzer, und sie bedeutet vor allem auch eine wirtschaftliche Gefahr. Von jeher ist in schlechteren Zeiten jener Industriekonzern am besten gerüstet, der von der Herstellung bis zum Endprodukt alles in der eigenen Hand behält und somit von Rohstoffverkäufern, Zulieferern und Preisdiktaten einigermaßen unabhängig bleibt. Alfried Krupp fürchtet ein weiteres Problem, das er 1955 offen benennt: »Der Grundsatz meines Urgroßvaters, nur das qualitativ Beste zu liefern, wird durch die Entflechtung schwer behindert.« Die Firma darf den Stahl nicht in den eigenen Töpfen kochen, »unsere Schmieden«, so Krupp, »sind mit dem oft unterschiedlichen Material nicht vertraut«. Ebendiese Umstände dienen schließlich auch als Entschuldigung für einen peinlichen Vorfall: Krupp, der Weltkonzern mit dem Gütesiegel, liefert der Reederei des griechischen Milliardärs Onassis eine Großturbine, die allzu bald ihren Geist aufgibt. Ein Materialfehler, heißt es zerknirscht in Essen, zu dem es nie gekommen wäre, ließen die Westmächte Krupp nur tun, was es tun wolle.
Die Verkaufsauflage, so empfindet Alfried Krupp es, widerspricht dem »Geist von Krupp«, den Alfrieds Schwager Tilo von Wilmowsky angesichts der drohenden alliierten Pläne schon 1952 in einem langen Brief an die Familie von Bohlen zusammenfasst. Er zitiert ein Schreiben des alten Krupp vom 19. Dezember 1881:
Ich habe den Zweck im Auge, daß die von mir geschaffenen Werke so lange, als es nach den Gesetzen möglich ist, conserviert und nach Möglichkeit erweitert werden … Es ist ja bekannt, daß ich Bergwerke für Jahrhunderte erworben habe, daß ich die Einhaltung der Substanz für alle Zeiten in der Familie wünsche, daß, wenn ein Jahrhundert über unsere Güter hinweggezogen sein wird, eine weise, solide Verwaltung noch für ein weiteres Jahrhundert verbürgt sein muß.
Dies war das Credo von Alfred Krupp, und dies ist noch immer der Glaubenssatz für seinen Urenkel, sosehr der introvertierte, unglückliche Mann sich auch von seinem energiestrotzenden Ahnen unterscheiden mag. Alfried Krupp kann daher nur beipflichten, wenn ihn der alte Wilmowsky im selben Brief warnt: »Die Alliierten wollen die Entflechtung und damit die Zerschlagung des Ganzen erzwingen; die Trennung von Kohle und Eisen bedroht den Nerv des Krupp-Geistes.« Wilmowsky rät als mögliche Gegenmaßnahme dazu, den Konzern in eine Stiftung umzuwandeln – ein Gedanke, den Alfried Krupp erst viele Jahre später und mit nachhaltigen Folgen wieder aufgreifen wird.
Vorerst bleibt die Situation verworren. Alfried Krupp soll die Berg- und Hüttenwerke verkaufen, damit der Riese von der Ruhr schrumpfe. Vorläufig aber besitzt er sie noch, denn er hat fünf Jahre Zeit für den Verkauf. Er weigert sich
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