Bertrams Hotel
nette junge Burschen kennen gelernt, aber ich bin überzeugt, dass kein solches Verhältnis besteht, wie du es andeutest.«
»Nun, meine Diagnose lautet: ein Verehrer – und wahrscheinlich ein unerwünschter.«
»Aber warum, Richard, warum? Was weißt du denn schon von jungen Mädchen?«
»Eine ganze Menge«, erwiderte Egerton trocken. »Du solltest ein wachsames Auge auf sie haben, Derek. Hör dich mal etwas um und versuch, in Erfahrung zu bringen, was sie sich so alles geleistet hat.«
»Unsinn. Sie ist nichts weiter als ein liebes Mädchen.«
»Was dir von lieben Mädchen nicht bekannt ist, würde ein ganzes Buch füllen! Ihre Mutter rannte davon und verursachte einen Skandal – erinnerst du dich noch? –, als sie jünger war, als Elvira heute ist. Und der alte Coniston war einer der schlimmsten Wüstlinge von England.«
»Was du mir sagst, Richard, bringt mich ganz aus der Fassung.«
»Es ist ganz gut, dass du darauf aufmerksam gemacht wirst. Eine ihrer anderen Fragen gefiel mir auch nicht recht. Warum ist sie so erpicht darauf, zu erfahren, wer ihr Geld erben wird, wenn sie stirbt?«
»Merkwürdig, dass sie dich danach gefragt hat, denn sie wollte von mir das Gleiche wissen.«
»Wirklich? Warum sollte sie sich mit ihrem vorzeitigen Tod befassen? Sie hat sich übrigens nach ihrer Mutter erkundigt.«
Colonel Luscombes Stimme klang besorgt, als er sagte: »Ich wollte, Bess würde sich des Mädchens annehmen.«
»Hast du mit ihr über das Thema gesprochen – mit Bess, meine ich?«
»Nun, ja… ja, allerdings. Ich habe sie zufällig getroffen. Wir wohnten im selben Hotel. Ich habe es Bess dringend nahe gelegt, sich um Elvira zu kümmern.«
»Und was hat sie darauf erwidert?«, fragte Egerton neugierig.
»Hat sich glatt geweigert. Sie hat mir praktisch zu verstehen gegeben, dass sie kein passender Umgang für das Mädchen sei.«
»In gewisser Hinsicht hat sie da meiner Ansicht nach sogar Recht«, meinte Egerton. »Sie hat sich mit diesem Rennfahrer eingelassen, nicht wahr?«
»Ich habe so etwas munkeln hören.«
»Ja, ich auch. Ich weiß nicht, ob wirklich etwas dahinter steckt, aber es könnte wohl stimmen. Das ist vielleicht auch ein Grund ihrer Einstellung zu Elvira. Von Zeit zu Zeit sind Bess’ Freunde ein etwas starker Tobak. Aber was für eine Frau sie ist, nicht wahr? Derek? Was für eine Frau!«
»Hat sich selbst immer am meisten im Weg gestanden.«
»Eine wirklich nette konventionelle Bemerkung«, kommentierte Egerton. »Nun, Derek, entschuldige bitte die Störung, aber halt die Augen offen, falls unerwünschte Elemente im Hintergrund lauern sollten. Jedenfalls kannst du nicht sagen, du seist nicht gewarnt worden.«
11
M rs McCrae, Kanonikus Pennyfathers Haushälterin, hatte für den Abend seiner Rückkehr Seezunge eingekauft. Eine gute Seezunge besaß mancherlei Vorteile: Sie brauchte erst dann dem Grill oder der Bratpfanne anvertraut zu werden, wenn der Kanonikus tatsächlich zuhause war; zur Not hielt sie sich auch bis zum nächsten Tag. Kanonikus Pennyfather schätzte Seezunge sehr, und sollte ein Anruf oder ein Telegramm die Nachricht bringen, dass der Kanonikus diesen Abend doch woanders sein würde, so war Mrs McCrae auch keine Kostverächterin. Alles war daher aufs Beste für die Rückkehr des Kanonikus vorbereitet. Er wurde mit dem Zug erwartet, der um achtzehn Uhr dreißig von London eintraf.
Um sieben Uhr war er noch nicht da. Gewiss hatte der Zug Verspätung. Um halb acht fehlte vom Kanonikus noch immer jede Spur. Mrs McCrae stieß einen ärgerlichen Seufzer aus. In ihr regte sich der starke Verdacht, dass sie wieder einmal eine dieser unangenehmen Überraschungen erleben würde. Acht Uhr, und kein Kanonikus. Mrs McCrae war der Verzweiflung nahe.
Um neun Uhr backte sie sich drei Pfannkuchen. Die Seezunge stellte sie vorsorglich in den Kühlschrank. »Ich möchte nur wissen, wo der gute Mann jetzt steckt«, murmelte sie vor sich hin. Erfahrung hatte sie gelehrt, dass das Feld hier unbegrenzt war. Die Wahrscheinlichkeit bestand, dass er sein Versehen noch rechtzeitig entdecken und sie telegrafisch oder telefonisch benachrichtigen würde, bevor sie zu Bett ging. »Ich werde bis elf Uhr aufbleiben, aber nicht länger«, sagte sich Mrs McCrae.
Man konnte nicht sagen, dass sie sich Sorgen machte. So etwas war schon häufiger vorgekommen. Es blieb nichts weiter übrig, als auf irgendeine Nachricht zu warten. Am übernächsten Tag kam sein alter Freund, der Erzdiakon
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