Bertrams Hotel
Essen benutzte er tüchtig das Telefon, ohne jede Rücksicht auf die entstehenden Kosten. Mrs McCrae spitzte ängstlich die Lippen, obwohl sie diese Verschwendung nicht verurteilen konnte; ihr Brotherr musste ja wirklich gefunden werden.
Nachdem er pflichtschuldigst zuerst die Schwester des Kanonikus angerufen hatte, die vom Kommen und Gehen ihres Bruders wenig Notiz nahm und wie üblich nicht die blasseste Ahnung hatte, wo er war oder sein könnte, dehnte der Erzdiakon die Suchaktion weiter aus. Er wandte sich nochmal an Bertrams Hotel und verschaffte sich möglichst genaue Auskünfte. Der Kanonikus hatte am frühen Abend des 19. das Hotel verlassen. Er hatte nur eine kleine BEA-Reisetasche mitgenommen, sein anderes Gepäck jedoch in seinem Zimmer zurückgelassen, das ordnungsgemäß weitergebucht blieb. Er hatte erwähnt, dass er irgendeine Konferenz in Luzern besuchen wolle, war aber vom Hotel nicht direkt zum Flughafen gefahren. Der Portier, der ihn vom Sehen kannte, hatte ihn in ein Taxi verfrachtet und den Fahrer wunschgemäß zum Athenaeum-Club dirigiert. Das war das letzte Mal, dass jemand von Bertrams Hotel Kanonikus Pennyfather gesehen hatte. Ach ja, noch eine Kleinigkeit – er hatte vergessen seinen Zimmerschlüssel beim Empfang zu lassen und ihn stattdessen mitgenommen. Es war nicht das erste Mal vorgekommen.
Erzdiakon Simmons machte eine kleine Pause, um ein paar Minuten zu überlegen, ehe er die nächste Nummer wählte. Er konnte natürlich den Flughafen in London anrufen, aber das würde zweifellos einige Zeit in Anspruch nehmen. Es fiel ihm ein kürzerer Weg ein, und er rief Dr. Weissgarten an, einen bekannten Orientalisten, der ziemlich sicher am Kongress teilgenommen hatte.
Dr. Weissgarten war zuhause: Sobald er hörte, wer mit ihm sprach, ließ er einen Wortschwall vom Stapel, der größtenteils aus einer abfälligen Kritik zweier auf der Konferenz gehaltener Vorträge bestand.
»Höchst unzuverlässig, dieser Hogarov«, sagte er. »In jeder Weise anfechtbar. Wie er damit durchkommt, entzieht sich meiner Kenntnis. Der Mann ist überhaupt kein Gelehrter. Wissen Sie, was er sagte?«
Der Erzdiakon seufzte und sah sich genötigt, seinen Gesprächspartner zu unterbrechen. Sonst bestand die Aussicht, sich den Rest des Abends Weissgartens Kritik an seinem Kollegen anhören zu müssen. Mit ziemlichem Bedauern ließ sich Dr. Weissgarten herbei, von persönlicheren Dingen zu sprechen.
»Pennyfather?«, sagte er. »Pennyfather? Er hätte eigentlich anwesend sein müssen. Kann nicht verstehen, warum er nicht dort war. Hat mir gesagt, er gehe hin, noch vor einer Woche, als ich ihn im Athenaeum traf.«
»Wollen Sie damit sagen, dass er überhaupt nicht auf dem Kongress war?«
»Das habe ich doch gerade gesagt. Er hätte da sein so l len.«
»Wissen Sie, warum er nicht kam? Hat er eine Absage geschickt?«
»Woher soll ich das wissen? Er hat erwähnt, dass er bestimmt hinfahren werde. Ja, jetzt entsinne ich mich. Man hatte ihn erwartet. Mehrere Leute äußerten sich über seine Abwesenheit. Glaubten, er habe sich vielleicht erkältet. Sehr tückisches Wetter.« Er wollte gerade wieder seine Kollegen kritisieren, aber Erzdiakon Simmons verabschiedete sich.
Er rief jetzt doch die Flughafenabfertigung an. Bei diesem Unternehmen musste er sehr viel Geduld aufbringen, weil er von einer Abteilung zur anderen verbunden wurde. Schließlich erfuhr er eine weitere Tatsache. Kanonikus Pennyfather hatte für den 18. einen Platz gebucht, und zwar in der Maschine, die um einundzwanzig Uhr vierzig in die Schweiz flog; aber er hatte den Platz nicht benutzt.
»Wir kommen langsam weiter«, sagte Erzdiakon Simmons zu Mrs McCrae, die sich im Hintergrund aufhielt. »Einen Augenblick mal. Bei wem soll ich mein Heil jetzt versuchen?«
»Dieses viele Telefonieren wird eine Unmenge Geld kosten«, klagte Mrs McCrae.
»Leider ja«, stimmte Erzdiakon Simmons ihr zu. »Aber wir müssen ihm auf die Spur kommen. Er ist kein junger Mann mehr.«
»Oh, Sir, Sie denken doch nicht allen Ernstes, dass ihm etwas zugestoßen ist?«
»Nun, hoffentlich nicht… Aber ich nehme es nicht an, denn sonst hätten Sie wohl inzwischen davon gehört. Er führte doch bestimmt immer – hm – eine Karte mit seinem Namen und seiner Adresse bei sich?«
»O ja, Sir, er hatte Visitenkarten bei sich, außerdem Briefe und alles Mögliche in seiner Brieftasche.«
»Na, dann glaube ich nicht, dass er in einem Krankenhaus ist«, meinte der Erzdiakon.
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