Beruehre meine Seele
Todd rübergekommen?“, flüsterte Emma mir zu, sobald ich mich auf meinen Stuhl gesetzt hatte.
„Ja. Er ist bis zu seinem Schichtbeginn um Mitternacht geblieben.“
„Und? Habt ihr …?“
„Pst!“ Mit vor Scham geröteten Wangen sah ich mich verstohlen um, doch niemand schien etwas mitbekommen zu haben. „Nein, wir haben nicht.“
Sie beugte sich näher zu mir. „Weil er tot ist? Ist das ein Problem? Hat er überhaupt noch Blut, das zirkuliert?“
„Em! Nein, das ist kein Problem.“ Oder? Schließlich hatte ich nicht danach gefragt. Aber seine Haut war warm, was also auf Blutzirkulation schließen ließ. „Wir sind noch keine vierundzwanzig Stunden zusammen.“
Emma runzelte die Stirn, als würde ich plötzlich Chinesisch sprechen. „Falls es je einen berechtigten Grund für beschleunigten Intimkontakt gegeben hat, dann hier und jetzt. Er wartet schon seit Monaten, und du hast nicht mehr viel Zeit.“ Nur die tiefe Falte auf ihrer Stirn verriet, wie aufgewühlt sie war, trotz ihres festen Vorsatzes, Haltung zu bewahren. „Und wenn ich mir einen rein egoistischen Gedanken erlauben darf … Es bleibt keine Zeit mehr für den ‚Stell dir vor, was ich verpasst habe‘-Anruf. Man könnte es wohl als eine Art Übergangsritus bezeichnen.“
„Das meinst du nicht ernst.“
Sie zuckte mit den Schultern. „Ich sage ja nicht, dass du mit Todd schlafen sollst, nur damit wir ein letztes vertrauliches Gespräch unter besten Freundinnen führen können. Aber ich schwöre feierlich, dass ich dich nicht verurteilen werde, solltest du diesen Weg gehen.“ Sie legte die Hand auf ihr Herz. „Ich bringe auch das Eis mit.“
„Ich werde dich beim Wort nehmen.“
„Mehr verlange ich nicht. Und … ist es komisch?“, wollte sie wissen, während die anderen Schüler sich langsam an ihre Pulte setzten und nach vorn starrten, wo Mr Beck die Lösungen der gestrigen Hausaufgabe an die Tafel schrieb.
„Was soll komisch sein?“ Die Tatsache, dass Todd tot war? Oder dass ich bald tot sein würde? Oder dass zwei Dutzend Leute Zeuge meiner sehr öffentlichen Trennung von Nash wegen eines Kusses mit seinem Bruder geworden waren?
„Mit ihm zusammen zu sein, nachdem ihr so lange nur Freunde wart.“
„Ein bisschen schon“, gab ich zu, konnte das Lächeln jedoch nicht unterdrücken. „Aber nicht, weil ich ihn schon so lange kenne.“ Das war eigentlich sogar eher cool. Außer seinem Spanner-Geständnis hatte es bei uns keine verlegenen Momente des Kennenlernens gegeben, und dafür hatte ich ihm ja schon verziehen, unter der Bedingung, dass es nie wieder vorkam.
Und wenn Nash mir jetzt noch heute oder morgen vergeben könnte …
„Todd und du seid jetzt also ein Paar?“
„Weiß ich nicht. Es scheint mir irgendwie unsinnig, dem Ganzen ein Etikett aufzudrücken, wenn wir nur noch einen Tag zusammen haben.“
Emmas Mundwinkel gingen nach unten, und ich wünschte, ich könnte die Worte zurücknehmen. Das war offensichtlich eine Erinnerung zu viel gewesen.
„Wie kannst du das so lässig sehen?“, sagte sie leise und wischte sich unauffällig die Tränen aus den Augenwinkeln. „Das ist ja fast so, als würde es dich überhaupt nicht kümmern.“
„Das sagt mir jeder“, flüsterte ich zurück und lehnte mich näher zu ihr. Niemand sollte mithören. „Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll. Es ist nicht so, als würde ich an Krebs sterben, Em. Ich bin nicht krank, was natürlich ein enormes Plus ist, aber ich habe auch keine ein oder zwei Monate, um mich bei allen zu verabschieden. Es gibt keinen Spielraum, und ich kann unmöglich der ganzen Welt verkünden, dass ich nach Donnerstag nicht mehr hier sein werde. Mir bleibt gar nichts anderes übrig, als die nächsten vierundzwanzig Stunden normal weiterzumachen. Und mich von der erschreckenden Tatsache, wie endgültig das Ganze ist, abzulenken, indem ich noch versuche, unseren dämonischen Mathelehrer auszuschalten und Zeit mit einem Toten zu verbringen, dessen Interesse an mir viel zu spät offenbart wurde, um es noch richtig auszuleben.“
„Ich weiß, tut mir leid.“ Schniefend zog Emma ein Papiertaschentuch aus der Packung. „Ich hab nur das Gefühl, dass du mich sitzen lässt. Das letzte Jahr ohne meine beste Freundin wird total blöd werden.“
„Ich weiß, tut mir leid.“ Immerhin hatte sie ein letztes Jahr …
„Ich wünschte, es gäbe etwas, das ich …“, setzte sie an, doch die Schulglocke zum Unterrichtsbeginn unterbrach sie, und Mr
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