Beruehre meine Seele
Beck schloss die Tür zum Klassenraum.
Mathematik war heute noch schwerer zu ertragen als sonst, hauptsächlich, weil jede Minute, die der Zeiger auf der Uhr über der Tür abzählte, eine vergeudete Minute vom Rest meines Lebens war. So viele hatte ich ja nicht mehr davon.
Ich sah Mr Beck zu, wie er die Hausaufgaben überprüfte, die ich nicht gemacht hatte, dann rief er verschiedene Schüler auf, die den heutigen Stoff an der Tafel lösen sollten. An seinem Verhalten war nichts Ungebührliches, und ich musste immer wieder zu Danicas leerem Stuhl sehen, um mir zu versichern, dass ich mir das Ganze nicht nur eingebildet hatte.
Als dann am Ende der Stunde jeder auf die Tür zuströmte, erhaschte ich einen Blick, mit dem Mr Beck Emma und mich ansah – der erste offen lüsterne Blick von ihm –, und so kramte ich in meiner Schultasche, scheinbar auf der Suche nach etwas, um zurückbleiben zu können und mit Emma die Letzte in der Schlange nach draußen zu sein. Dann hakte ich mich bei Emma unter und schickte Mr Beck meinen verführerischsten Blick über die Schulter, ohne dass ich durchblicken ließ, wie übel mir dabei war.
An der Tür drehte Emma sich zu ihm um, hob acht Finger und formte stumm mit den Lippen „acht Uhr“. Er nickte, Funken sprühten aus seinem Blick wie aus einem Lagerfeuer, dann zog Emma mich in den Korridor hinaus.
Wo ich fast mit Nash und Sabine zusammengestoßen wäre.
„Kann ich kurz mit dir reden?“, fragte Nash, bevor ich mich von dem Fast-Zusammenprall erholt hatte. Dann wurde mir klar, dass er nach mir gesucht haben musste. Weder er noch Sabine hatten Grund, sich um diese Zeit im Mathe-Flügel aufzuhalten.
„Ja, klar.“ In fünf Minuten fing die nächste Stunde an, aber nie hatte Schule weniger Bedeutung gehabt als jetzt. Das hier war vielleicht die einzige Möglichkeit für mich zu erklären, was passiert war und warum. Um herauszufinden, wie er mit der Trennung zurechtkam. Ihn zu bitten, Todd zu vergeben, auch wenn er mir vielleicht nicht vergeben konnte. Es machte mich völlig fertig, dass ich die Brüder auseinandergetrieben hatte, und ich wollte wenigstens das aus der Welt schaffen, bevor ich die Chance verpasste.
„Ich komme gleich nach, Em“, sagte ich, und mir fiel Sabines wütender Blick auf, als sie und Emma uns nachsahen, wie wir zum Parkplatz gingen. Aber da lag noch etwas anderes in ihrem Blick. Sie … machte sich Sorgen. Worüber? Dass ich mir Nash zurückholen würde?
Nash schwenkte prompt nach links, sobald die Glastüren hinter uns zugefallen waren, und lehnte sich an die Mauer, sodass man uns vom Korridor aus nicht mehr sehen konnte. Fast eine Minute lang starrten wir beide vor uns auf den Boden, vermutlich hatte er genauso wenig Ahnung wie ich, wie wir dieses Gespräch beginnen sollten. Also machte ich den Anfang.
„Ich entschuldige mich wegen gestern.“ Ein Kloß steckte mir in der Kehle. „Das war nicht geplant. Nichts davon.“ Eine so lahme Entschuldigung würde wohl kaum reichen, um die Dinge zwischen uns in Ordnung zu bringen, genauso wenig wie seine Entschuldigung damals, als er Mist gebaut hatte.
„Ich hatte gehofft, dass du das sagen würdest.“ Nash lehnte mit einer Schulter an der Wand, sah mich aus einem halben Meter Abstand an, und ich wusste nicht so recht, wie ich den intensiven Strudel von Grün und Braun in seinen Augen deuten sollte. „Ich will mich nicht streiten, Kaylee, vor allem nicht jetzt. Ich will nicht, dass du wütend auf mich bist, wenn du gehst, oder glaubst, ich wäre wütend auf dich. Wenn du also sagst, dass es nichts bedeutet hat, dann glaube ich dir. Ich bin sowieso auf Todd sauer, nicht auf dich.“
Die Schulglocke mahnte zum Unterricht und hallte in meinem Kopf wider. Genauso lange brauchte ich, bis ich den Sinn seiner Worte verstanden hatte, und als es mir dann dämmerte, dass er sich wieder versöhnen wollte, wurde ich von meinem Schuldgefühl fast erstickt.
„Nash, ich …“ Ich starrte zu Boden und wusste nicht, was ich sagen sollte. Er ahnte ja nicht, dass Todd und ich den ersten Kuss längst hinter uns gelassen hatten. Offensichtlich war er mit der Vorstellung in die Schule gekommen, dass, wenn er mir vergab, wir genau dort weitermachten, wo wir aufgehört hatten. „Die Dinge sind nicht mehr so, wie sie einmal waren.“
„Ich weiß“, meinte er, bevor mir einfiel, wie ich fortfahren sollte. „Es muss seltsam für dich sein zu wissen, dass demnächst alles zu Ende ist. Ich möchte einfach nur
Weitere Kostenlose Bücher