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Beruf Philosophin oder Die Liebe zur Welt Die Lebensgeschichte der Hannah Arendt

Beruf Philosophin oder Die Liebe zur Welt Die Lebensgeschichte der Hannah Arendt

Titel: Beruf Philosophin oder Die Liebe zur Welt Die Lebensgeschichte der Hannah Arendt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alois Prinz
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ableiten aus dem, was vorher war. »Das Ereignis erhellt seine eigene Vergangenheit«, schreibt Hannah Arendt, »niemals kann es aus ihr abgeleitet werden.« 3 Auch das Ereignis der totalen Herrschaft erhellt seine eigene Vergangenheit und es werden »Kristallisationen«, »unterirdische Ströme« sichtbar.
    Solch ein unterirdischer Strom in der Geschichte ist für Hannah Arendt der Drang nach unbegrenzter Macht, wie er sich am stärksten im Imperialismus zeigt, dem sie in ihrem Buch eines der drei Kapitel widmet. Diesen Drang hält sie für unersättlich, so dass den imperialistischen Geschäftsmann, wie sie sagt, »die Sterne ärgern, weil er sie nicht annektieren kann«. Mit der Sprengung der nationalen Grenzen bekommen auch die vorher begrenzten Konflikte einen größeren Maßstab. Aus einem Engländer wird ein »weißer Mann«, aus einem Deutschen ein »Arier«. Und von diesen geborenen Herren unterscheidet man eine Sklavenrasse, die »Schwarzen« oder – die »Juden«.
    Rassismus und Imperialismus gehören zusammen. Eine Gruppe, die sich berufen fühlt, die Welt zu lenken, grenzt sich ab gegen eine minderwertige Rasse, die, so glaubt man, keinen Anspruch auf Beteiligung am Herrschen hat. Daher lässt sich auch verstehen, warum die Juden der Funke waren, an dem sich der Nazismus entzündete, warum gerade die Juden zum Hauptfeind wurden. Der Nationalsozialismus führte alle Tendenzen des Imperialismus ins Extreme. Die Nazis sahen sich als über-nationale Bewegung von Auserwählten mit dem geschichtlichen Auftrag, nicht weniger als die Welt zu beherrschen. Und darum mussten alle Gruppen zum Gegner werden, die eine ähnliche weltweite Verbreitung und ein ähnliches Selbstverständnis hatten, und das waren in erster Linie die Juden. Hier war ein Volk, ohne Staat, verstreut über die ganze Welt und trotzdem zusammengehalten durch Familienbande und durch den Glauben an seine besondere geschichtliche Mission. Die Nazipropaganda verwandelte das besondere Schicksal des jüdischen Volkes in die Fabel von einer jüdischen Weltverschwörung. Und die Nazis handelten wirklich so, als ob die Welt von Juden unterwandert sei und nur eine Gegenverschwörung diese Welt retten könne.
    Die Frage, ob die jüdische Weltverschwörung vielleicht ein Hirngespinst ist, stellte sich überhaupt nicht. Man tat so, als ob sie wirklich wäre, und damit wurde sie wirklich. Der Wahn wurde einfach wahr gemacht. Sobald aber die wesentlichen Stützen dieses Lügengebäudes, Organisation und Terror, nicht mehr funktionieren, zeigt sich die fundamentale Schwäche eines totalitären Systems: Es platzt wie eine Seifenblase, und die Menschen fallen wie aus einem Traum, den sie nicht mehr wahrhaben wollen.
    Hannah Arendt schreibt hierzu: »Mit dem Zusammenbruch ihrer fiktiven Heimat kehren die Massen wieder in die Welt zurück, vor deren Realität die Bewegung sie geschützt hatte, werden wieder zu den isolierten Individuen, als die sie sich massenhaft zusammengefunden hatten, und übernehmen entweder neue Aufgaben in einer veränderten Welt oder fallen in die verzweifelte Überflüssigkeit zurück, von der die Fiktion sie für einen Moment erlöst hatte. [...] In aller Stille, als handele es sich um nichts als einen dummen Reinfall, werden sie ihre Vergangenheit aufgeben und, wenn es Not tut, verleugnen, sich nach einer neuen viel versprechenden Fiktion umsehen oder warten, bis die alte Ideologie wieder an Stärke gewinnt und eine neue Massenbewegung ins Leben ruft.« 4
    Das Deutschland, in das Hannah nun zurückkommt, hat die Ratlosigkeit und das Chaos der ersten Nachkriegsjahre schon hinter sich und ist auf dem besten Weg, eine demokratische Industrienation zu werden. Eine Währungsreform wurde durchgeführt, die Westzonen haben sich zusammengeschlossen und im August 1949 fanden die Wahlen zum ersten Bundestag statt. Zum Bundespräsidenten wurde Theodor Heuss gewählt, Bundeskanzler ist der frühere Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer.
    Hannah ist mit ihrer Arbeit für die »Jewish Reconstruction« rund um die Uhr beschäftigt. Sie hastet von einer Stadt zur nächsten und von einem Termin zum anderen. Dabei hat sie viele Gelegenheiten, mit Leuten zu sprechen. Und sie ist entsetzt. An Heinrich schreibt sie: »Weißt du eigentlich, wie Recht du hattest, nie wieder zurückzuwollen? Die Sentimentalität bleibt einem im Halse stecken, nachdem sie einem erst in die Kehle gestiegen ist Die Deutschen leben von der Lebenslüge und der Dummheit.

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